Humorkritik | März 2009

März 2009

Fleckenteufels Zunge

Überaus produktiv und sehr erfolgreich ist dieser Tage Heinz Strunk; so erfolgreich, daß ihn an dieser Stelle zu loben beinah schon überflüssig ist. Darum will ich mit meinen Ansichten nur ganz kurz hinterm Berg hervorkommen: Ich habe sowohl »Die Zunge Europas« als auch den »Fleckenteufel« (jeweils Rowohlt) gelesen. Und fand letzteren entschieden besser als die »Zunge«.

Denn »Die Zunge Europas« leidet an dem, was man in Musikerkreisen als »difficult second album syndrome« kennt: »Fleisch ist mein Gemüse« war viel zu groß, als daß sich sein Autor unbekümmert an den Nachfolger hätte setzen können. Zu genau ließen sich Ursachen für die sagenhafte Publikumswirkung benennen: der authentische Ton des (zumindest potentiell) Selbsterlebten, das Dilemma des hochtalentierten Musikers, mit »Mucke« genannter Scheißmusik seine Brötchen verdienen zu müssen, die Niederungen des menschlichen Körpers und der Ekel vor dem Genuß, mit dem die Musikerkollegen die Sümpfe der Traurigkeit aus Saufen, Fressen, Rauchen und den zugehörigen Rückwegen alles Inkorporierten durchschreiten.

Viele Motive aus »Fleisch ist mein Gemüse« finden sich in der »Zunge Europas« wieder. Diesmal ist es ein Gagautor, der mit seiner Profession hadert und seiner Fettleibigkeit, der ewigen Trinkerei und den ebenso endlosen Problemen mit den Weibern. Doch obwohl Strunk (etwa in seiner Sendung »Fleischmann TV« bei Viva) durchaus selbst Erfahrungen mit diesem Gewerbe gesammelt hat, bleibt ein schaler Nachgeschmack: Gagautoren haben einfach nicht die gleiche Fallhöhe wie Musiktalente; ihnen ist der Selbstekel zu inhärent, als daß man mit ihnen mitfühlen möchte. Und so bleibt die »Zunge« strukturell Strunks Erstling zu ähnlich, macht nicht den entscheidenden Schritt zum zweiten Album, den man sich gewünscht hätte – was nicht heißen soll, daß man das Buch nicht mit Gewinn lesen könnte.

So offen kritisiere ich Strunks Zweitwerk aber nur, um nun um so entschiedener loben zu können: Denn der »Fleckenteufel« sollte als offizielles zweites Album betrachtet und mit allen Lorbeeren geschmückt werden.

Zunächst muß man sich allerdings von der Vorstellung verabschieden, der »Fleckenteufel« habe irgend etwas mit Charlotte Roches »Feuchtgebieten« zu tun oder sei gar eine Parodie auf diese. Das ist er nicht, auch wenn das Cover so aussieht, das Buch im Handel direkt neben Roches Buch liegt und Strunk gewiß zu Beginn eine Parodie vorschwebte. Ich wage zu behaupten: Eben diese Absicht hat sogar zu der Leichtigkeit geführt, mit der hier etwas ganz anderes entstanden ist als eine Parodie, die doch immer an ihre Vorlage gebunden bleibt: nämlich selbständige Literatur, die nicht gedanklich, sondern ästhetisch geleitet ist und deshalb ganz anderes schafft als die Kopfgeburt der »Zunge«.

Im »Fleckenteufel« steckt ein Sechzehnjähriger im Körper eines Sechzehnjährigen fest, der Mitte der Siebziger eine Kirchenfreizeit an der Ostsee besucht und dort mit Gleichaltrigen zu fortwährender Pubertät verdammt ist. Seine zwanghafte Beschäftigung mit Körperfunktionen und Sauberkeit, mit Weibern und sozialen Rangordnungen findet hier aber auf sprachlicher Ebene statt; die Geisterbahnfahrt durch Wortfelder des Ekels und der Obszönität hört nicht mehr auf. (Daß die Parodie auf Roches Buch von vornherein nicht greift, liegt übrigens genau hier begraben: daß es für pubertierende Jungs noch nie anrüchig war, mit Ekel und Obszönität zu schockieren, für Frauen aber sehr wohl.) Je mehr Fahrt der Roman aufnimmt, desto mehr verselbständigen sich die Kataloge des Furzens und Miefens, des Essens und Trinkens, und werden enzyklopädisch, funktionieren mithin nicht mehr als Beschreibungen, sondern werden selbstbezüglich, reflexive literarische Ausdrucks- und Erfahrungsweisen, die selbst zur Wirklichkeit werden. Das ist eine Methode, mit der schon Ror Wolf und die experimentelle Literatur der sechziger Jahre gearbeitet haben (nicht die schlechtesten Referenzen) und die Strunk nun, womöglich intuitiv, auf die aktuelle Ekel- und Obszönitätsmode angewendet hat. Mit höchst komischen Folgen, denn die Grenze zwischen Ekel und Komik verschwimmt, je gehäufter und ausführlicher gepupst wird, verdaut und gekackt, eingehalten und verstopft, und das im Achtmannzelt. Strunk schafft es, vergessen geglaubte Erfahrungen zu reaktivieren, die in vielen seiner Leser schlummern dürften, und ist in »Fleckenteufel« mit seinem Humor, der vornehmlich aus Leid und Schmerz erwächst, wieder ganz bei sich, glaubwürdig, authentisch –und literarisch. Das ist die Richtung, die er verfolgen sollte: sich seinem Gegenstand nicht frontal zu nähern, sondern seitlich daran vorbeizugehen – hier über den Umweg der Parodie. Das macht den Zauber aus, den Max Goldt beschworen hat und der auch dem »Fleckenteufel« innewohnt. Ein Buch, das mich gefesselt und  gefreut hat wie kaum eines der letzten Monate.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner