Humorkritik | Mai 2008

Mai 2008

Tisch-sisst, ck und h -h -h

98 Prozent ihres Erbguts haben die Menschen mit den Schimpansen gemein; jedenfalls die meisten. Aber nicht erst seit der Erfindung der Gentechnik, sondern schon seit der Evolutionstheorie ist die Faszination durch Darwins nächsten Verwandten bekanntlich groß. Einer der originelleren ­Affenforscher war Georg Schwidetzky, der sich mit den Affensprachen befaßte und 1932 ein Buch mit dem schönen Titel »Schimpansisch. Urmongolisch. Indogermanisch« herausbrachte, das sogar ein Vokabularium der Schimpansensprache und ein Orang-Utan-Wörterbuch (»Pongonisch«) enthielt – »tisch-sisst« drückt demzufolge den Ärger eines Orang-Utans über einen Neben­buhler aus, »ck« meint die »Ängstlichkeit des Weibes vor dem Manne«, und »h -h -h« ist – Lachen.

 

Der Affe ist der Mensch unter den Tieren, dies scheint die Leitschnur für Schwidetzkys Arbeit gewesen zu sein; doch daß nicht nur die Primaten, sondern auch die anderen Geschöpfe ihm menschlich nahestehen, davon legt sein 1931 erschienenes Buch »Sprechen Sie Schimpansisch?« beredtes Zeugnis ab. In dieser »Einführung in die Tier- und Ursprachen­lehre« geht er vom Menschen und Menschenaffen zurück zu den »Erbworten« der Hühner und Pferde und kommt über die Vögel, Krokodile und Lurche geradewegs zu den mitnichten stummen ­Fischen. Einige der glitschigen Freunde sind ihm vielmehr die Väter der menschlichen Sprache, und beim »Grunzen« des Lungen­fisches wird Schwidetzy von Ehrfurcht durch­rieselt: »Wenn wir, zu träge zur Rede, unsere Meinung nur durch Grunzen zu erkennen ­geben, dann muß uns ein Schauer der Ehrfurcht durchrieseln vor dem Alter dieser Laut­gebung.«

 

Da klingt Respekt vor der niederen Kreatur an; eine tierliebe Humanität, die den »Gaumenzungenschnalz« der Eidechse ebenso schätzt wie den »Lippenschnalz des Orang-Utans als eine Sprachbrücke zwischen Mensch und Tier. Ich kenne ihn aus ei­gener Beobachtung.« Mensch und Tier, sie ge­hören zusammen, und noch im »Froschkonzert in der Maiennacht«, diesem »geselligen Lärm«, der aus reiner »Geschwätzigkeit« entsteht – »der Inhalt ist reiner Stimmungsausdruck. Man könnte es in Worten mit den bekannten Versen ausdrücken: Wir sitzen so fröhlich beisammen und haben einander so lieb!« – hört Schwidetzky das menschliche Pendant heraus: »Jeder Kinder­freund hat ­sicher einmal beobachtet, wie eine Gruppe Kinder im Chor durcheinander gewisse sinnlose Silben unendlich oft mit größtem ­Behagen wiederholt. Es ist im wesent­lichen dasselbe wie das Froschkonzert, ein Ausdruck des Gruppengefühls, einer der ältesten und stärksten Erregungen in der Tierwelt.« Welcher Unterschied zur abstrakten und gefühllosen Wissenschaft von heute! Und mit größtem Behagen schildert Schwidetzky das Geplauder einer Londoner Zoologin mit ­einem jungen Krokodil in ihrem Arbeitszimmer, die sich »in ergötzlicher Weise« grunzend unterhielten.

 

Heutige Biologen finden den Anthro­pozentrismus ähbä, aber eben dieses Menscheln, das noch im Lungenfisch den Verwandten sieht, sorgt für persönliche Achtung. Eine die Tier- und Menschenwelt umspannende Freundlichkeit prägt Schwidetzkys schönes Buch, eine echte Empathie mit ­allem, was keucht und fleucht, lebt darin, die in des großen Tierfreunds großer Hoffnung gipfelt: »Finden wir nämlich in unseren Menschensprachen Worte, die nach Lautkörper und Bedeutung tierischen Ursprungs sind, so sehen wir zum erstenmal Tiererlebnisse gewissermaßen von innen.« Versteht sich, daß Schwidetzky solche Wörter findet, und nicht zu knapp. »Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß die Säugetiere andere Laute hätten als wir. Nein, fast alle ihre Laute sind auch in den Menschensprachen und besonders im Deutschen enthalten … oft wird man finden, daß die älteren Formen das Schimpansische noch deutlicher hervortreten lassen. Auch in den Mundarten, z.B. dem Schweizerischen, entdeckt man noch wohlerhaltene Urformen.« Das Schimpansenwort »hu« beispielsweise, das »vom Schimpansenkind vor dem Schlafengehen gebraucht wird«, ist ihm der Ahn des deutschen Wortes »Höhle, althochdeutsch huil«. Oder schimpansisch »ngak« führt ihn zu deutsch »gehen«, »ein Erlebnis, das schon dem Schimpansen geläufig war und nie aus der Mode gekommen ist«.

 

Ob das vor der hochmodernen Linguistik Bestand hat, ist fraglich; doch gilt für die meisten Erkenntnisse der Wissenschaft, daß sie mit der Zeit komisch werden. Wie Georg Schwidetzkys Buch zeigt, muß das kein Schaden sein.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella