Humorkritik | Mai 2007

Mai 2007

Kaminers Kiez

Den Posten des russischen Kultur-Residenten gibt es in Berlin schon seit langem. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts verweste u.a. Vladimir Nabokov dieses Ehrenamt, später dann wurde sogar – eher schlecht als recht – Ivan Rebroff tätig. Zur Zeit hat diese Position quasi monopolistisch Wladimir Kaminer inne; wie auch Nabokov schreibt er nicht in seiner Muttersprache, und wie Rebroff bedient er das Vorurteil, Russen hätten eine große Seele und ein manchmal kindliches Gemüt. Rebroff will ich allerdings in Schutz nehmen, schließlich ist der singende Folklore-Russe geborener Berliner.

 

Des echten Russen Kaminers Erfolg (»Russendisko« etc.) reicht weit in den Mainstream hinein. Was überrascht, denn in einigen Punkten sind Kaminers Positionen durchaus nicht mehrheitsfähig. Mittlerweile tritt Kaminer auch als Experte auf, wenn es in Talk-runden um Rußland geht. Dabei zeigt er Gelassenheit und Sachkunde, was ihn von den anderen Gesprächsteilnehmern meist angenehm unterscheidet.

 

Im Laufe der Zeit hat Kaminer den Erfolg der »Russendisko« zu einem florierenden Franchise-Unternehmen ausgebaut: Neben Russendiskos als Buch, CD, Event und T-Shirt gibt es inzwischen auch ein Buch über die russisch-sowjetische Küche; da war es nur eine Frage der Zeit, bis endlich ein Berlin-Buch erschien; schließlich lebt Kaminer im Osten der Stadt und bekennt sich gern und oft zu seiner Wahlheimat.

 

»Ich bin kein Berliner« (Goldmann) taugt als Reiseführer nur bedingt. Was Adressen und Informationen angeht, ist der Leser mit einer Stadtillustrierten besser bedient, aber das muß freilich kein Makel sein: Von Kaminer erwartet niemand einen konventionellen Reiseführer. Aber auch mit originellen und komischen Einblicken geizt der Autor. Das liegt zum einen daran, daß Kaminer fest im Prenzlberg-Ghetto verwurzelt ist. Die angrenzenden Viertel Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte werden noch einigermaßen erschöpfend abgehandelt, vom Rest der Stadt kennt der Autor nur die üblichen Sehenswürdigkeiten und Gemeinplätze.

 

Kaminers Beobachtungen sind dann am interessantesten, wenn er Possen aus seiner sowjetischen Jugend erzählt und sie in Beziehung zum tumultigen Berlin der Nachwendezeit setzt. Wenn es um die Stadt als Großberliner Ganzes geht, kommt indes nicht viel. Vielleicht interessiert ihn das ja gar nicht – allzuviele Berufsberliner sind ja von ihrer Wichtigkeit geradezu besoffen, da kann gepflegtes Desinteresse ein heil-sames Gegenmittel sein. Dann jedoch sollte man konsequent sein und besser gar kein Buch über die Stadt schreiben. Zumindest keines, das von jener Oberflächlichkeit geprägt ist, die man von den Experten kennt, auf die Kaminer in seinen Talkrunden trifft.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg