Inhalt der Printausgabe

Juli 2006


Der Deutsche
Warum mich der Matthias Mattussek gernhaben kann
(Seite 2 von 4)

Also wird halt wieder bloß sublimiert, nun denn:
Matussek, schreibt Matussek, hat »im Grunde … fünfzehn Jahre lang an diesem Buch geschrieben. Seit sich die beiden Deutschlands in die Arme gefallen und an die Gurgel gegangen sind, schreibe ich daran.« Denn plötzlich war sie da, die »Renaissance unserer Nation«, und Matussek ist halt lieber Renaissancemensch als 68er-Kind, dem man noch beigebracht hatte, daß Staatsangehörigkeit kein Wert an sich sei: »Es konnte schnell Entwarnung gegeben werden. Sicher, es gab in den ersten Monaten der Einheit xenophobe Krawalle, im Osten gegen Vietnamesen und Mosambikaner, im Westen gegen Asylantenheime, doch das hatte mit nationalistischen Räuschen nichts zu tun – es waren die üblichen, europaweit bekannten rassistischen Autodafés, in denen Verlierer auf Verlierer einschlugen«, unter Nazigebrüll zwar und im Osten mit wohlwollender Duldung von Polizei und Nachbarschaft, aber eben nichts, was darauf hätte schließen lassen, daß 15 Jahre später bei einer repräsentativen Umfrage der Uni Bielefeld in Sachsen 45 Prozent der Befragten der Forderung »Ausländer raus« prinzipiell zustimmen würden. »In Brasilien, wo wir vier Jahre lang lebten, lernten wir nicht nur, daß nationaler Stolz als Samba und als Gedicht aus Federn und Flitter in die Straße getanzt werden kann, sondern auch, wie sehr wir Deutschen beneidet werden dafür, daß unsere Züge pünktlich sind, daß unsere Rechtsprechung funktioniert und daß man eher selten auf der Straße erschossen wird«, sondern höchstens mal zusammengeknüppelt, wenn man ein bißchen zu östlich ein bißchen zu südlich aussieht, was die funktionierende Rechtsprechung dann gerne zur Bewährung aussetzt; und hoffen wir, daß Matussek nicht anfängt, seinen neuen Stolz auf den ICE »Lüneburger Heide« (z.Z. ca. 400 Minuten verspätet) in die Hamburger Brandstwiete zu tanzen: »Er gehört zu den eigentümlichsten Unterströmungen der Globalisierung. Je internationaler die Welt, desto nationaler das Gefühl«, muß heißen: Je frischer das Klima aus Ausbeutung und Repression, desto wärmender das nationale Feuer, das von Kapital und angeschlossenen Medien (Spiegel) am Brennen gehalten wird: »Identität, Geschichte, Brauchtum, Tradition, Religion, Familie, Werte«, und was früher Volksgemeinschaft war, heißt jetzt »Konsensgesellschaft mit ganz neuem und kämpferischem Auftrag, nämlich die Nation, also uns alle, durch die Krise zu bringen und zu retten«.
Derart protofaschistisch daherkäsen und vom Kapitalismus schweigen geht für in die Jahre gekommene Linksliberale natürlich nur dann, wenn sie ihre »romantische« (Matussek, da hat er sogar recht) Sehnsucht nach Miteinander, Identität und Vaterland als wunder wie Pop, cool und Heinrich Heine verkaufen können: »Dieses andere Deutschland ist idealistisch, witzig, anspruchsvoll, gutmütig, weltoffen, romantisch. Es paßt gut in eine globalisierte Welt, in der die Grenzen gefallen sind, denn es ist leichtes Gepäck. Es ist luftig. Es wohnt im Herzen.« Dieses luftige Herzensdeutschland, man darf daran erinnern, droht Systemverlierern und anderen arbeitsscheuen Elementen, die nicht zwangsweise Spargel stechen möchten, neuerdings mit Obdachlosigkeit und finalem Ruin; und da weiß ich wirklich nicht, ob das schon witzig ist oder beinahe noch fast idealistisch.

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg