Inhalt der Printausgabe

Juli 2006


Der Deutsche
Warum mich der Matthias Mattussek gernhaben kann
(Seite 1 von 4)

von Stefan Gärtner

Wohl dem Manne, dem ein blühend Vaterland
das Herz erfreut und stärkt!
Hölderlin
 
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei all den Problemen, die in guten Zeiten ins kleine Abteil des Küchenschranks passen und mich in schlechten Zeiten unter sich begraben, leiste ich mir, eines nicht zu haben: das, ob’s nun gut und füglich sei, Deutscher zu sein oder nicht, was Deutschsein heiße und bedeute und wie und ob und überhaupt.
Mir ist das, im Vertrauen, sehr egal. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich habe einen deutschen Paß, und sicher ist der besser als ein angolanischer, aber weniger wegen Luther und Beethoven als wegen der Möglichkeit, älter als 45 zu werden, DVD-Sammlungen anzulegen und Peter Hacks ohne Umwege im Original zu lesen. Warum soll ich mich mit etwas beschäftigen, das ich weder ändern kann noch will, warum auch, dafür interessiert es mich zuwenig. Stolz sei der besonnene Mensch eh nur aufs Selbstgeleistete: aufs Notabitur, den Freischwimmer oder darauf, den ruinierten Gebrauchtwagen an einen ahnungslosen Rentner verscherbelt zu haben, und damit ist für mich das Thema Nation erledigt. Als gäb’s nicht viel interessantere Dinge, Astrophysik oder Gebrauchtwagenpreise. Ich bin Deutscher, von mir aus.
Matthias Matussek, der nach Jahren des Reporterseins jetzt auf dem Kulturchefsessel vom Spiegel sitzt, hat natürlich einen Dienstwagen und also genug Zeit, Deutscher aus Leidenschaft zu sein, zumal er letzthin länger im Ausland war, und »nichts stimuliert die Liebe zum eigenen Land so sehr, als wenn man es ständig gegen Klischees und Herabsetzungen zu verteidigen hat« wie nämlich er, Matussek, während seiner Zeit als Spiegel-Korrespondent in London gegen das traditionelle englische German-Bashing, für das »Kraut« und »Hitler« die lustigsten Wörter überhaupt sind. Seither findet Matussek, nicht umsonst ein alter Spiegel-Mann, daß »Hitler ein Freak-Unfall der Deutschen« war, daß »die zwölf tragischen Jahre« nicht alles an Deutschland sind und daß »ein gewisser Nationalstolz gesund ist«, und jedenfalls war seine, des pumperlgsunden Matusseks »Deutschwerdung ein langer Prozeß«, der nun als erfolgreich abgeschlossen gelten und auf 350 Hardcover-Seiten nachgelesen werden kann (»Wir Deutschen. Warum die anderen uns gernhaben können«, S. Fischer, 18,90 Euro).
Sie werden es mir nachsehen, daß ich das nicht getan habe, mir haben die Einleitung und zwei Kapitel restlos gereicht. Da denkt man immer, es erschüttere einen so leicht nichts mehr, und dann sitzt man doch wieder da und wird ganz traurig, weil der Unfug niemals aufhört und man irgendwen dafür schlagen will, aber am Ende schlägt einer zurück, und ich bin ja nur Kassenpatient!

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster