Inhalt der Printausgabe
Juli 2005
Humorkritik (Seite 8 von 9) |
Feierliche Toiletten |
Wer sich nicht sicher ist, soll er etwas Neues anfangen oder im alten Stil weiterwurschteln, was tut er? Er feiert Geburtstag. Da tischt er die alten Geschichten noch mal auf. Kommen sie an - na prima; kommen sie nicht an, kann man sich aufs schönste davon di-stanzieren: Ja denkt nur, lang-lang ist's her. So halten es Fernsehsender, wenn sie ihre staubigen Sketch-Archivschauen präsentieren, und so halten's auch jene "Stachelschweine", die als traditionellstes aller Berliner Kabarett-Theater derart zur Institution verkommen sind, daß längst kein Berliner mehr hinfindet. Das Publikum wird zum Pauschalpreis aus dem Seniorenheim Bad Schussenried angeliefert: Da zeigt man einerseits Willen zur Verjüngung, indem Volker Surmann, Stand-up-Komödiant und Mitglied der Lesebühne "Die Brauseboys", als Autor beschäftigt wird; da beschränkt man andererseits den Wirkungskreis der Frischzellen, indem Surmann ausgerechnet das Jubiläumsprogramm zum fünfundfünfzigsten Geburtstag dieser Einrichtung zu schreiben kriegt, mit der Auflage, "klassische" Stachelschwein-Nummern einzubauen. Ja, härter noch: Er muß sich abfinden mit der Regievorgabe, den Jubiläumsszenenreigen auf der Toilette des Bundestagsgebäudes anzusiedeln. So daß sich der Zuschauer zwei Stunden lang ins Abtritt-Ambiente versetzt sieht und alle naslang Wortspielchen nach Art des Klohauses ertragen muß - eines avancierte gar zum Programmtitel, der "Besetzt" lautet. Pate stand offenbar die Hoffnung, daß ein Politklo einige Fallhöhe in sich berge. Allein, damit ist's nicht weit her - allzu staatsbürgerlich-abgeordnet stelzen die Pointen über den Toilettenflur. Wenn über den Klotüren die Inschrift "Dem deutschen Volke" prangt oder jeweils zu Beginn der Programmhälften die Nationalhymne erklingt, dann wirkt das weniger ironisch, als den Urhebern bewußt sein dürfte - vielmehr wandelte mich unter der stachelübersäten Decke des gediegenen Theaterraumes das Gefühl an, hier werde dem deutschen Volke sein hochoffizielles, politisch korrektes Kabarett geboten. In Feiertagskleidung sitzt das betagte Publikum an Tischchen und erhält Pointen, bei denen garantiert keinem das Glas aus der Hand fällt: "Der Schröder hat sich die Haare nicht färben lassen. Der hat das selber gemacht." - "Der Finanzminister hat oft Durchfall. Der kann halt nichts bei sich behalten." - "Der Bundesaußenminister versperrt eine Zufahrt" - Witze von der Originalität einer Regierungserklärung also. Freilich hat das präzis inszenierte Boulevardstück auch bisweilen vergnügliche Momente; drei routinierte Darsteller (Birgit Edenharter, Wolfgang Bahro und Detlef Neuhaus) verkörpern durch flinke Kostüm- und Rollenwechsel eine Vielzahl von Figuren, ohne je ins Verbogene oder Schrille abzugleiten - angesichts der omnipräsenten Quatsch-Comedy-Plagegeister erlebte ich die handwerklich topfitten Salondarsteller geradewegs als freudige Überraschung. Seit die Mauer weg ist, wimmelt's in Berlin von Mauerblümchen; auch die Stachelschweine sind zu dieser Rolle verdammt: Seit 1965 im Europa-Center an der Gedächtniskirche zu Hause, mußten sie das Nach-Wende-Schicksal dieses Gebäudes teilen und wurden von einer Westberlin-Attraktion er-sten Ranges zum Sanierungsfall. Was man da raten kann? Nicht viel: Stur weiterzumachen, gern mit denselben Darstellern, auch mit frischen Autoren, zur Not mit Toiletten, die schließlich Ursprungsort guter Ideen sein können. Aber bittschön irgendwann runterzukommen vom Klo - bei einem Stück, das dort hockenbleibt, kann der frischeste Wind nicht viel ausrichten. |
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