Inhalt der Printausgabe

Mai 2004


TITANIC Kultur

Hurra, Berlin hat's gepackt:
Die neuen deutschen New Yorker sind da!
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Die Macher des Mattglanzmagazins Dummy (nur 6 Euro!), die nun, ein halbes Jahr nach der Premiere, bereits das zweite Heft an ausgewählte Kioske bringen, überzeugen indes durch opulente Fotostrecken und gut gedruckte Texte zu relevanten Themen. Im Editorial der Erstausgabe teilten sie unumwunden mit, was sie genau vorhaben: "Eine Zeitschrift, die Sinn für das Bunte hat und sich gleichzeitig relevanten Themen widmet" - und das, obwohl es die noch viel themenrelevantere Illustrierte Bunte schon längst gibt! Das ist der berühmte Mut, der heute allerorten fehlt.

 

Haben tut ihn auch Florian Illies; der Golfgenerationsbiograph (Band I und II) hat zusammen mit seiner Frau die Edel-Illu Monopol an den Start gebracht ("Magazin für Kunst und Leben", 7 Euro), die durch opulente Fotostrecken, ein echtes Uschi-Obermeier-Interview und gut gemachte Anzeigen überzeugt. Seinem Einfluß ist es wohl auch zu verdanken, daß sogar Chr. Schlingensief mitmacht. Chapeau!
Die Themenspektren aller deutschen New Yorker sind einheitlich und breit gestreut (z. B. Politik, Kunst usw.), wirklich interessante Themen wie Tattoo-Tips, Schwedenrätsel und Islam-Bashing sucht man dagegen vergeblich. Oder heißt es vergebens?
Erstaunlicherweise kommen fast alle schon jetzt sehr erfolgreichen Hauptstadtblätter ohne Inhalt aus, nicht jedoch ohne Pop-Autoren - jedes Magazin braucht schließlich seinen sympathischen Springinsfeld, um sich von der Konkurrenz abheben und auch kontrovers fiedelnde Meinungen ins fröhliche Arschgeigenkonzert einspeisen zu können: Cicero hat den Kaminer, Monopol hat Christian Kracht und Dummy immerhin den bereits in Abwicklung befindlichen und von der FAZ vorsorglich für tot erklärten Benjaminvonstucki-Barre abgekriegt. So können sich die Neunziger wenigstens noch in Berlin einigermaßen halten.
Jedes Jahrzehnt hat die Zeitschriften, die es zur Ver-gewisserung seiner selbst braucht: In den Fünfzigerjahren machte Rudi Augstein den Spiegel zum deutschen Welterfolg, in den Sechzigern Seppel Aust die St. Pauli Nachrichten, die Siebziger brachten Ally McSchwarzers Emma und ihr Pendant Supermöpse total, in den Achtzigern las Helmut Markwort Color-Votzen und entwickelte kurz darauf Die 2, zehn Jahre später auch noch den Focus, und jetzt schenken uns seine Erben Dummy, Monopol und Zitzero.

 

Zeitschriften gibt es ja vor allem deswegen, damit Journalisten was zum Schreiben haben. In den letzten zwei Jahren wurden überall viele, viele Journalisten entlassen, deswegen gibt es jetzt so viele neue Blätter. Sie sind gar nicht in erster Linie für Leser gemacht, die es vielleicht dann doch gar nicht gibt, sondern für generöse Zeitschriftenverleger, die eventuell noch irgendwo einen niedlichen Posten frei haben. Entspannt legen die jetzt die Beine hoch im Hauptstadtbüro, tauchen das Mundstück ihrer Montechristo genüßlich in eiskalten Asbach und blättern sich so durch die Zellstoffstapel: Aha, der Gehrs, der Illies, der Bock, die wollen bestimmt mal gerne Scheff von 'ner richtigen Zeitung werden, und da wir hier im Hause bald vor dem vierundzwanzigsten Relaunch von Max stehen und Neon dringend neu positioniert werden muß, da klingelnwa doch gleichma durch.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg