Inhalt der Printausgabe

Mai 2004


TITANIC Kultur

Hurra, Berlin hat's gepackt:
Die neuen deutschen New Yorker sind da!
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Ein brillant formulierter und auf gutem Papier gedruckter Essay für bessere Kreise von unserer Edelfeder Oliver Maria Schmitt

Neben dem vom Billigfliegen und dem des gleichzeitig erreichten Höhepunkts träumt man in Deutschland einen dritten uralten Menschheitstraum: den von der überaus anspruchsvollen, hochästhetischen, höchstvergnüglichen Hauptstadtzeitschrift, die mindestens so gesalbt und gebenedeit daherkommt wie die Mutter aller hochklassigen Metropolenblätter, wie the one and only New Yorker. Nun, im Frühjahr 2004, I tell you, ging dieser Traum endlich in Erfüllung.
Jahrelang ging gar nix, tat sich nüschte, zog (jetzt mal janz bildlich jesprochen) keen Hauch von Berliner Luft durch den Blätterwald - im Gegenteil! Gaga-Kolumnist Franz Josef Wagner plante schon vor Jahren den Berliner - Arschkarte. Georg Gafrons ambitioniertes Hetzblatt B.Z. zielte oft in die richtige Richtung - ist aber zu billig. Die "Berliner Seiten" von FAZ und Süddeutscher Zeitung - längst einjestellt. Roger Willemsen's interessantes Magazin - Wunschtraum jeblieben. Dabei ist es doch absolut un-bezweifelbar nun mal so, daß unser Ex-Bonn Berlin eine pulsierende und spannende Kult-Metropole mit Weltniveau ist und deshalb zwangsläufig auch die spannendsten und aufregendsten Ideen immer von genau da herkommen (Herzogs Ruck-Rede, die ZDF-Hitparade).

 

An interessierten Lesern vor Ort mangelte es nie. Ein Drittel der Berliner Bürjer lebt von der Stütze und hat viel Tages-freizeit, die produktiv entweder zum Saufen oder zum Lesen genutzt werden kann. Da kommt dann das ins Spiel, was Zeitschriftenfreaks den "Nutzwert" eines Blattes nennen.
Vorab schon mal so viel: Der Nutzwert aller gerade neu erschienenen Berliner
Hochglanz-Hauptstadtblätter ist gleich hoch. Sie können rund um die Uhr und bei fast -jedem Wetter genutzt werden, gegen Einsendung von 55 Cent in Briefmarken teilen die jeweiligen Verlage auch gerne mit, zu was. Sie vermitteln alle eine wichtige, crazy Botschaft, nämlich daß man rund sieben Euro bereithalten sollte, um dafür ein gutes Pfund recyclingfähigen Papiers zu erhalten, das mühelos an jeder Altpapiertonne entsorgt werden kann.
Aber never mind the dürren Fakten, here's the Tatsachen: Was wird serviert im "Café Deutschland", das der heutige Kanzlermaler Jörg Immendorff einst so cool und groszmäßig auf den Rahmen spannte?
Zunächst mal so neue, vielversprechende Blätter wie Zoo, Deutsch, Achtung und Voss - doch die kriegt man mit etwas Glück nur bei Bolle, bei Getränke-Hoffmann oder bei Ullrich am Zoo, außerhalb Berlins aber gar nicht, weil man sie dort überhaupt nicht verstehen würde.
Einen glanzvollen, weltweiten Start legte gerade Cicero hin, das "Magazin für politische Kultur" (7 Euro); inhaltlich wie personell erinnert der "gedruckte Salon" stark an den legendären und gefürchteten politischen Teil der Zeit, das Blatt überzeugt darüber hinaus mit opulenten Fotostrecken, packt mutig selbst die heißesten Eisen an (Reformstau in Berlin, zu wenig Fortpflanzung in Deutschland) und richtet sich an eine politisch interessierte Bildungselite, deren Existenz allerdings erst noch von verrückten Wissenschaftlern nachgewiesen werden muß.
 


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt