Inhalt der Printausgabe

Mai 2004


TITANIC Kultur

Hurra, Berlin hat's gepackt:
Die neuen deutschen New Yorker sind da!
(Seite 3 von 3)

In Berlin, das muß man einfach wissen, kann jeder seine Biographie immer wieder neu erfinden, das Fraktaluniversum ist nicht aufzuhalten. Berlin ist der neue Ort der Sehnsucht, das Eldorado eines freien, unbekümmerten Lebensstils, und Ironie is over. Die Antwort auf die Krise kann doch nicht nur Boulevardisierung und Nutzwert sein. Gegen die kalte Kapitalisierung setzen wir den Eros unserer Zeit, die neue Ernsthaftigkeit. Entscheider und Geschäftsführer prägen den Metropolendiskurs. Jede einzelne Ausgabe muß zu einer Wundertüte werden. Hedonismus ist immer Teil der Kunst gewesen, Sinnlichkeit der Zentralbegriff. Unsere Altersgruppe hat wieder ein Bedürfnis nach einer sinnlichen Befriedigung ihrer ästhetischen Sehnsüchte, und scheißrein!, das muß man doch auch irgendwo mal ordentlich jedruckt kriegen!
Aber haben die neuen Zeitschriften denn überhaupt eine Chance? Schließlich kann man am Kiosk unter fast viertausend Titeln wählen, und jedes Jahr gibt es Hunderte Neuerscheinungen. Klare Antwort: Es kann nix passieren, wenn man nur ein geeignetes Werbeumfeld für die wertvollen Anzeigen hat. Und auch hier sieht alles schnafte, wenn nicht sogar knorke aus: Monopol hat eine Anzeige (ganzseitig!) vom "Stadtmarketing Mannheim", Dummy präsentiert eine Gratis-Anzeige für Amnesty International und Cicero sogar eine doppelseitige Austauschanzeige von Focus und dann noch eine vom Berliner Großstadtjuwelier Leicht, der für ein blumenvasengroßes Fabergé-Ei wirbt, ein "weltweit auf 25 Exemplare limitiertes Kunstobjekt". Wenn man das aus "kostbarem Gelbgold, Emaille, Brillanten und Edelsteinen" gearbeitete Ei aufklappt, kommt holterdiepolter "das bedeutendste Symbol der Deutschen Einheit zum Vorschein - das Brandenburger Tor". Eine wirklich jroßartige Sache.
 

In Berlin wird es also weiterhin planmäßig aufwärts gehen, und pressemäßig sowieso. Berlin hat es doch bislang jedes Mal geschafft, hat sich gerappelt und dann was janz Jroßes raustrompetet, wat janz Hohes. Denn genaugenommen liegt das Problem viel tiefer und strebt höher: Wäre Berlin hausmäßig so hoch wie New York, es gäbe auch mehr hochrangige Wichsblätter mit einem Arsch voll Anspruch, Kultur, Lebenskunst und trocken ausgebauter "Citoyenkultur" (Daniel Kuhn-Bendit).
 

Angesichts all dieser Aktivitäten auf dem Anzeigen-blättermarkt stellt sich zuletzt noch die bange Frage: Was macht eigentlich Manfred Bissinger? Hat man den schwergewichtigen Ex-Chef der eingestampften Woche, den Großen Alten Sack der gepflegten Schnarchjournalistik einfach vergessen? Gut, er war gerade schwer damit beschäftigt, dem Berlin zumindest phänotypisch irgendwie kompatiblen Armanirocker Marius M. Westernhagen auf dessen Bitte hin kritische Fragen für einen Westernhagen-Fotobildband (40 Euro) zu stellen ("Marius, was bedeutet dir Freundschaft?" - "Freundschaft ist unheimlich wichtig. Wer keine echten Freunde hat, tut mir leid" etc.) - aber nun müßte er doch mindestens mit ein bis zwei neuerlichen Pleiteblättern auf den Markt kommen. Oder relauncht er etwa gerade den - New Yorker?
Das wäre inständig zu hoffen. Andernfalls bliebe ja dem Berlin Nordamerikas so manches erspart - nicht nur die opulente Fotostrecke.

Oliver Maria Schmitt


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg