Inhalt der Printausgabe

Juni 2004


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

Horns redlicher Wucher
Wie spricht man im Zeitalter des Euros eigentlich von jemandem, dessen Verstand für keine fünf Pfennig reicht? "Für keine zweieinhalb Cent" klingt ein bißchen sperrig, überdies sollte die Inflationsrate berücksichtigt werden - hat ein Leser Vorschläge? Immerhin 55 Cent waren es, die ich im Restpostenlädchen für Guildo Horns Autobiographie "Danke" (Econ) abgedrückt habe, weil mich der dokumentarische Wert meines Wühltischfundes beeindruckte: Neben seinem originalen Preisaufdruck (DM 14,90) trägt der Umschlag immerhin vier übereinandergepflasterte Etiketten, die den Kursverfall bis hin zum von mir berappten Verkehrswert dokumentieren. Beim Öffnen des Werkes fiel auf, daß der seinerzeit Vielbeschäftigte sein Werklein offenbar selbst geschrieben hat, anstatt, wie branchenüblich, einen Ghostwriter zu engagieren.
Heerscharen von Mitarbeitern hatten zuvor Horns legendären Grand-Prix-Einsatz begleitet. Damals hatte der eher unverkrampft wirkende Bühnengenosse wochenlang trainiert, abgespeckt und mit dem Medienprofi Stef. Raab zusammengearbeitet, um seinem halbwegs unverhofften Nationalspielerstatus gerecht zu werden: Plötzlich in prominenter Stellung, wollte Guildo sich nicht lumpen lassen. Fabrikmäßiger Aufwand hier, brave Hotelzimmer-Laptoparbeit fürs Büchlein dort - es ist in beiden Fällen ein und derselbe Charakterzug: die liebhabermäßig bemühte, ja amateurhaft hochmotivierte Redlichkeit Horns, der dem Publikum allezeit Gutes tun will und der weiß, daß er artistisch alles andere als gut ist. Folgerichtig war es Horns Markenzeichen, auf der Bühne wie ein Irrwisch rumzutoben und zu schwitzen: Wer nichts kann, der muß wenigstens alles geben.
"Mein Ausdrucksmittel war schon immer der Gesang und meine Sprache die Schlagermusik." Dieser Satz aus der Biographie zehrt von derselben Ironie wie Guildos Beiname "der Meister", der eben darauf verweist, daß Horn jegliches Meisterlich-Souveräne abgeht. Tatsächlich ist Guildo nie etwas anderes gewesen als ein Karaokesänger aus dem Studentenkarneval. Auf dem Papier wird seine allfällige Hampelei zu einem Dauerfeuer von Sparwitzen: "Einige wenige schienen angetan und warfen uns edle Gaben wie Hühnereier und Tomaten zur Bühne herüber" - oder: "Er muß schon verdammt alt sein, denn als ich ihn zum erstenmal sah, war er schon da." Unangenehm hoch auch die Anzahl der Schlager- und Volksliedzitate, mit denen der Fließtext durchsetzt ist - im Grunde verhält es sich mit Guildos Witz genauso wie mit seinem Haar: Beides ist nur spärlich vorhanden, wird aber lang ausgekämmt.
"Geld ist für mich nicht wichtig. So habe ich es bis zum heutigen Tage überhaupt nicht verstanden, inwieweit mein Tun mit finanziellen Dingen überhaupt in Verbindung gebracht werden muß", sinniert er auf Seite 73, und gerade gelegentlich dieses (damals noch ironisch gemeinten) Satzes muß ich Guildo bescheinigen, daß sein Verstand sogar für mehr als fünf Pfennig reicht. Aber 55 Cent - da hab ich immer noch einen Wucherpreis bezahlt.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg