Inhalt der Printausgabe
Juni 2002
Humorkritik
(Seite 6 von 10)
Die Wucht der Dialoge |
Wenn auf dem Umschlag eines Buches steht, der Autor sei "mit der Gnade jenes Wahnwitzes gesegnet, den man britischen Humor nennt", bin ich ja immer gleich neugierig - und vorsichtig, denn bekanntlich wird mit derlei Etikettierungen viel zu oft der sprichwörtliche Schwindel betrieben. Im Fall von Magnus Mills' neuem Roman "Indien kann warten" (Suhrkamp) allerdings nicht, was zu erwarten war, denn in der Tat, begnadeten Wahnwitz habe ich bereits in Mills' Erstling "Die Herren der Zäune" aufs höchste genossen. Auch das neue ist ein prachtvolles Buch, in dem ein namenloser Erzähler auf einem Campingplatz in einer kargen nordenglischen Gegend hängenbleibt. Anstatt - wie eigentlich geplant - nach Indien zu fahren, streicht er Zäune und Ruderboote an, macht der Tochter des Campingplatzbesitzers die Hausaufgaben und sich zum Dorfdeppen. Mehr passiert nicht. Doch Mills' Bücher sind abgründig, weil der Autor seine Leser mit subtilen Beiläufigkeiten nachhaltig irritiert. Die Figuren treiben befremdlichste Dinge, ohne daß sich jemand darüber wundern würde. Zudem erzeugt Mills eine unterschwellig bedrohliche Stimmung. Wie Kafkas hilflose Helden steht auch Mills' Erzähler vor einem undurchschaubaren Gesetz, und die Frage, welcher Prozeß ihm am Ende von der wunderlichen Dorfgemeinschaft gemacht wird, verleiht dem Buch eine geradezu thrillergemäße Atmosphäre. Running gags und die wegen ihrer Komplexität nicht zitable "Wucht der Dialoge" (H. Rowohlt) fügen dem Buch eine (s.o.) fürwahr britische Komikfarbe hinzu. Bei Mills vereinen sich Aki Kaurismäki, Flann O'Brien und die Marx Brothers zu einer grandiosen Symbiose. "Indien kann warten" - die Lektüre des Buches hingegen nicht. |
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