Inhalt der Printausgabe

Juni 2002


Humorkritik
(Seite 3 von 10)

Der teutsche Sokrates

So nannte sich Johann Gottlob Heynig, der am 11. April 230 Jahre alt geworden wäre, und dessen Geburtstag ich heute gerne nachfeiere. Vierundvierzig Werke auf rund 6000 Druckseiten habe ich ihm nachweisen können, fünfundzwanzig sind in deutschen Bibliotheken einzusehen, keine einzige wurde nach seinem Tod neu aufgelegt. Es sind Schriften, die redlich versponnen, mitunter arrogant und oft im schönsten Sinne ignorant anmuten. Über Heynigs allumfassende Paranoia mußte ich oft schmunzeln, seine erschütterndsten Erlebnisse erinnern jedoch stark an Karl Philipp Moritz und sein Charakter an Johann Gottfried Seume. Nachts verfaßte er im ungeheizten Zimmer wie besessen Bücher voller Albernheiten und edierte die Zeitschrift "Der teutsche Sokrates" (insgesamt 1379 Seiten!).
Geschichte, Philosophie, Lebensmitteltechnologie, Theologie - nichts war vor ihm sicher: Für sein erstes größeres Werk "Herausforderung an Herrn Professor Kant in Königsberg, die Hauptsätze seiner Transscendental-Philosophie entweder von neuem zu begründen, oder sie als unstatthaft zurückzunehmen" (Leipzig 1797) hagelte es Verrisse am laufenden Band. "Über die ungemeine Schädlichkeit der Brannteweinbrennereyen" (Altona 1798) geißelte das Profitstreben der Schnapsbrenner während der großen Hungersnöte. Die kühne Ermahnung "Europas Pflicht, die Türken wieder nach Asien zu treiben, und Griechenland mit dem Occident zu vereinigen" (Leipzig 1801) schickte Heynig dem russischen Zaren Paul I. und bekam erst vom Nachfolger Alexander I. zurechtweisende Antwort - während die griechische Nation ihn heiligsprechen lassen wollte.
Stänkern, wo es geht, lautete wohl Heynigs Devise. Nur hatte er sich die falsche Zeit und fast immer die falschen Feinde ausgesucht; und ein Vielfaches mehr einstecken müssen, als ihm auszuteilen gelang. Ein Spaßvogel? Mitnichten. Zeitlebens ist er ein Pechvogel gewesen: die Habilitierung wurde ihm verwehrt, und Pfarrer wollte er nicht werden. So zog er mit Kind und Kegel zu Fuß von seiner Heimatstadt Plauen nach Wittenberg, Jena, Leipzig, Göttingen, Berlin, Heidelberg, Straßburg, Mannheim und Dresden. Immer kleineren Pöstchen hinterher, bis er, gramgebeugt und von allen verspottet, 1837 starb.
Vieles davon kann man erstaunlich frisch und ergreifend nachlesen in "Johann Gottlob Heynigs, gegenwärtig Privatgelehrten zu Straßburg kurzgefaßte Lebensgeschichte nebst einem räsonierenden Verzeichniß seiner Schriften" (Straßburg 1806). Nur müßte die wieder mal jemand drucken. Heynigs einziger ernstzunehmender Biograph, Holger Sudau, ist über dem Bettelbriefeschreiben an hunderte Verlage irre geworden und auf unerklärliche Weise verschollen. Mit großer Freude vernahm ich daher, daß im Mai beim winzigen, aber hochfleißigen Oktober Verlag zu Münster "Die Wahrheit über Holger Sudau" erscheinen wird. Als nächstes bräuchte die Welt dringend die Wahrheit über Johann Gottlob Heynig - die Neuausgabe seiner Lebensgeschichte mit Vorwort und penibler Bibliographie.
Mutige Verleger mit möglichst viel Geld: Ran an den Speck!



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella