Inhalt der Printausgabe
Juni 2002
Humorkritik
(Seite 10 von 10)
Von schlechten Eltern |
"Vater, lieber Vater mein, willst du meine Mutter sein?" fragte nachdrücklich einst Robert Gernhardt. Und für Kinder ist es ja auch Jacke wie Hose, wer was ist, sie sind immer die Opfer. Einen neuerlichen Beweis liefert Hal Sirovitz mit seinem gleichermaßen bedrückenden wie beglükkenden Gedichtreigen "…sagte Mutter" (Kunstmann), der ein verkappter Roman einer Verkrüppelung durch Erziehung ist. Vom Esprit tapferer Resignation und trotzigem sog. jüdischen Humor geprägt sind die Gedichte, in denen Vater und Mutter alternierend den Sohn mit gutgemeinten Ratschlägen und schlecht dosierter Elternliebe zur Selbstbewußtseinsschnecke machen: "Ich habe nie verstanden, warum die Deutschen / uns hassen konnten, sagte Mutter, nur weil / wir Juden waren, aber was ich noch weniger / verstehe, ist, daß du mich hassen konntest, / nur weil ich deine Mutter bin." Daß der Dichter sein lyrisches Ich nicht sprechen bzw. aufheulen läßt, ist keine poetologisch motivierte Bescheidenheit: nach einer solch abstrusen Kinderstube hat man einfach kein Ich. Sirovitz' Gedichte machen Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein" überflüssig. Und toppen mühelos Woody Allens Mutterneurosen: "Du solltest zu einem Analytiker gehen, sagte Mutter, / der in meiner Nachbarschaft wohnt, anstatt / immer den langen Weg in die Stadt zu machen. Wenn / die Sitzung beendet ist, kannst du zum Essen herkommen. / Dann sage ich dir, ob er dir den richtigen Rat gegeben hat." Im Gegensatz zum Zögling Sirovitz sind die Gedichte nicht von schlechten Eltern. |
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