Inhalt der Printausgabe

August 2000


Humorkritik
(Seite 3 von 7)

Pigor und Eichhorn

Niemand kann mir vorhalten, ich sei ein Liebhaber deutschsprachiger Chansons. Weder gehöre ich zu den Greisen, die sich vermittels tönender Anachronismen an die frivolen Jahre zwischen Erstem Weltkrieg und Inflation zurückerinnern wollen, noch schere ich mich sonderlich um die eitlen Exhibitionen von trotz aller Schicksals-schläge noch immer voller Power steckenden Menopausenschabracken. Aber es gibt insgesamt immerhin drei CDs mit deutschsprachigen Chansons, die mir sehr gut, ja ausnehmend vorzüglich gefallen. Sie heißen "Pigor singt, Benedikt Eichhorn muß begleiten", Volumen 1, 2 und 3 (Roof /Zomba). Das ist aber auch ganz was anderes.
Thomas Pigors Texte sind nicht geistreich und amüsant, sondern intelligent und komisch. Er stellt die richtigen Fragen ("Ist denn ein Babyleben mehr wert als ein Menschenleben?"), macht die richtigen Beobachtungen ("Ohne Brille ist der Brillenkabarettist einfach nicht witzig"), gibt die richtigen Ratschläge ("Wenn du deine Zähne mit der Toothbrush scratchst, tu's so, daß du das zarte Zahnfleisch nicht verletzt"), zieht die richtigen Konsequenzen aus der deutschen Geschichte ("Ich habe fast schon mal mit einer Jüdin geschlafen, und ich würde es jederzeit wieder tun, trotz oder gerade wegen der Vergangenheit") und macht auch sonst so gut wie alles richtig. Er singt, wie er's gerade braucht, mal sämig-breiig wie der fette Elvis, mal zum Indiefressehauen breitmäulig wie ein Wiener Liedermacher, und in "Ta Katie t'a quitté" gar mit schlichtwegiger und schlechterdingsender Genialität.
Pigor textet, Benedikt Eichhorn muß vertonen - kein leichter Job, denn die meisten Texte sind nicht auf Rhythmus geschrieben und müssen mehr oder weniger durchkomponiert werden. Das eröffnet dem Könner (zweifellos: Eichhorn ist einer) reizvolle Möglichkeiten, vom simplen Strophenschema wegzukommen und musikalisch nach Herzenslaune zu experimentieren. Die Ergebnisse, sei es der Dreivierteltakt-HipHop, die synästhetische Verklanglichung Mecklenburg-Vorpommerns oder die Verknüpfung unterschiedlichster Stilregister (Heideggers Wortsülze wird in Reggae-Form gegossen, Ringelnatzens Bi-Sprache findet ihre wahre Bestimmung im Scat-Gesang des Jazz) leuchten stets ein und klingen vor allem gut. Man reibt sich ungläubig die Ohren: Nach siebzig Jahren immer ausgeleierteren Epigonentums bekommt das Chanson endlich wieder einen Innovationsschub.
Nicht, daß es nichts zu bemängeln gäbe. Natürlich sind auch mattere Stücke darunter, und die gekünstelten Dialogeinlagen auf Volumen 2 nerven spätestens beim dritten Anhören. Trotzdem: Mit Pigor/Eichhorn kann von allen Musikern in der aktuellen deutschen Kleinkunstszene kaum einer nur annähernd mithalten. Und die toten sind auch nicht besser. Nein, nein, auch Friedrich Hollaender nicht.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg