Inhalt der Printausgabe
August 2000
Humorkritik
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Hennigs Selbstanzeige |
Nicht alles war schlecht an der DDR. Sie hielt siebzehn Millionen Ostdeutsche per Zaun im Zaum, sie brachte interessante Zeitschriften wie etwa die Volksarmee hervor, und sie wird noch lange Jahre einer der bedeutendsten Rohstofflieferanten für die Kulturindustrie bleiben, zumindest was das Buch- und Filmgewerbe anbelangt. Zwar hätte "Alles nur geklaut" (Maro Verlag), der Entwicklungsroman des Berliner Autors Falko Hennig, tendenziell auch in der BRD spielen können, seine Kleptomanenjugend aber in einem Areal zu verbringen, in dem das An- und Beschaffen knapper Waren sowieso schon Volkssport war, wirkt ungleich komischer. Hennig berichtet erfreulich ostalgiefrei über Schule, Freizeit und Lehre, über sein Leben im Deutschen Osten, das von Beutezügen durch Kaufhallen und abgesperrte Westmüllkippen geprägt war, von selbstkritischen Stellungnahmen im Schulunterricht ("Bei den Verunstaltungen der Porträts im Geschichtsbuch handelt es sich nicht um politische Anspielungen, sondern nur um Krakeleien, die ich aus Langeweile gemacht habe"), von Loriot-Lesungen im Palast der Republik und von der Tatsache, daß die Tschechoslowakei der DDR ausgerechnet "in Bezug auf Gummitiere mindestens 100 Jahre voraus" war. Der dritte und letzte Teil des Buches, der vom Nachwendeleben im freien Westen und anderswo handelt, ist nicht frei von Verklärungskitsch, dafür bereiten aber die beiden anderen rechte Freude, etwa wenn Hennig von seiner nervenaufreibenden Tätigkeit als Setzer für die Volksarmee erzählt, der ungelesensten Zeitschrift der DDR: "Es gab in dieser Wochenzeitung auch ein recht schlichtes Kreuzworträtsel. Einmal, so erzählte mir Herr Süß, mein Mentor, wäre nach einer Sitzgelegenheit gefragt worden, ‚Hocker'. Bei der Auflösung eine Woche darauf hätte der Setzer aus Versehen ›Hoecker‹ gesetzt, was der Korrektor las und es in ›Honecker‹ verbesserte. Nun stand also in der Volksarmee als Auflösung für Sitzgelegenheit ›Honecker‹. Es schlug große Wellen, die Partei witterte eine riesige, reaktionäre Verschwörung, und alle Beteiligten bekamen viel Ärger. Sie bedachten nicht, daß niemand außer ihnen diese Zeitung las." |
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