Vom Fachmann für Kenner | April 2007
Feuilleton
Zusammenfassend läßt sich also sagen: Michel Piccoli ist der Heinz Rühmann des französischen Intellektuellenfilms.
Helge Möhn
Klima im Pendelverkehr
Morgens in der U-Bahn in die Gesichter dieser geschundenen Menschen zu blicken, in diese gänzlich ausdruckslosen Augen, die nichts wollen und keine Auskunft geben, sondern lediglich starrend auf einer Bild-Zeitung verharren, von der die Schlagzeile prangt: »Müssen wir Deutsche die Erde alleine retten?« – solche Momente versöhnen mich wieder vollständig mit dem nahenden Desaster.
Gregor Mothes
Kölner Umzüge
In meiner Nachbarschaft ziehen alle Leute dauernd um. Ganz wichtig beim Umziehen in Köln-Ehrenfeld ist, daß man zwei mit einer Wäscheleine verbundene Stühle auf die Straße stellt, um den Parkplatz für den Möbelwagen freizuhalten. Außerdem denken sonst alle anderen in der Gegend, das später hinzugestellte Mobiliar sei Sperrmüll, klauen das ganze Zeug von der Straße oder, schlimmer noch, stellen ihren eigenen Kram dazu. Zu Hause, in Münster, mußte man immer Sperrmüll an den Sperrmüll schreiben, weil sonst alle dachten, es handele sich um einen privaten Antikflohmarkt. An Umzug dachte keiner, nicht in Münster, Westfalen.
Katinka Buddenkotte
Anläßlich der Mikrophonprobe
von Thomas Gsella vor der TITANIC Peak Preview-Lesung im Frankfurter Club Voltaire am 13. März 2007: Wenn einer redet und es klingt hohl – ist das allemal in der Tonanlage?
Oliver »Lichtenberg« Nagel
Der verzauberte Barde
Ein Mann ging in die Stadt, um sich einen Ferrari mit Sitzheizung zu kaufen, denn der Winter war grimmig kalt und der Mantel des Mannes kaum dicker als Papyrus. Weil er jedoch ein armer Mann war, reichte das Geld nicht, und so beschloß er, zum Ersatz ein Brötchen von gestern zu erwerben. Kaum aber hatte er den ersten Bissen verzehrt, kam eine wunderschöne Fee geflogen, deren Gewand noch vielmal dünner war als der Mantel des Mannes. Und also sprach sie: »Wahrlich, ich sage euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß mir nicht kalt ist, und selig, wer mir seinen Mantel überläßt.« Da ging der arme Mann hin und überließ der Fee seinen Mantel, worauf ihn so sehr fror, daß er ihr ihn gleich wieder entriß; und umgekehrt! Nun war aber die Fee ein verzauberter Säbelzahntiger. Mit einem herzhaften Haps verschlang er den armen Mann, nicht ahnend, daß derselbige gleichfalls nicht er selbst, sondern der verhexte Heintje war, welcher im Bauche des Tigers augenblicklich nicht nur schrecklich rumpelte und pumpelte, sondern loslegte: »Maaammaaa, du sollst doch nicht um deinen Juunngen weiiinääänn!« Da aber sogar der Säbelzahntiger von einer Hexe verflucht und ursprünglich Feuilletonchef der FAZ war, wurde ihm das Geplärre so peinlich, daß er keinen andern Ausweg wußte, als seine Stelle zu kündigen und im islamistischen Somalia unterzutauchen, wo er, bis zu seinem Ende im März dieses Jahres, als Bauchsänger durch die Heavy-Metal-Clubs zog – halb wahnsinnig, doch geliebt von den »Frauen«.
Thomas Gsella
Super!
Wer immer noch an dem Vorurteil hängt, die deutsche Gastronomie nördlich der Mainline sei einfallslos, dem kann jetzt geholfen werden; und zwar im Bahnhof Hamburg-Altona, genauer gesagt in der dortigen Kölsch-Kneipe. Ob einem der Verstoß gegen das Reinheitsgebot schmeckt oder nicht, muß jeder für sich entscheiden, aber das Motto der Aktion »Super! Jetzt Bratkartoffeln im Kölsch!« ist doch ganz schön abgefahren, oder?
Hans Kantereit
Altern
Daß man langsam alt wird, merkt man daran, daß die Filme, die man für eigentlich recht neu hält, plötzlich als »die besten aller Zeiten« auf Kabel1 kommen.
Volker Surmann
Bilderstürmer
Mein Freund Joachim und ich haben seit ein paar Jahren ein Lieblingsprojekt. Irgendwann gehen wir mal auf den alten Braunschweiger Friedhof, an Lessings Grab, und kleben eine eigens zu diesem Zweck präparierte, in Größe, Farbe und Schriftbild dem Grabstein angepaßte Pappe darauf. Da soll dann folgendes stehen:
Lassie
1943–1974
Ruhe sanft, Du Hund!
Und wenn wir das endlich ins Werk gesetzt haben – wie gesagt, wir arbeiten dran! –, dann reisen wir in der Woche darauf nach Weimar, schlendern zum Nationaltheater, hauen die Dioskuren Goethe und Schiller vom Sockel und meißeln grad dorthinein den Hinweis: »Denkmal für den Unsichtbaren«.
Und für die Woche darauf fällt uns auch schon noch was ein.
Frank Schäfer
Vorschlag zur Güte
Diese schwererziehbaren Kinder, die in der Schule die ganze Zeit nur über Tische und Bänke springen, können ja dann später einfach Tischler und Banker werden.
Maik Tändler
Ernüchternd
Auf einer Kirmes morgens um halb zehn in Hamburg. Angelockt von bunten Lichtern und schlechter Dancefloormusik der neunziger Jahre landen wir in einer Spielhalle mit Greifarmautomaten. Zu unserem großen Entzücken finden wir in einem der Ausgabeschächte drei niedliche Stoffgremlins, die prompt unter den Arm geklemmt werden. Beim Verlassen der Halle werden wir jedoch von zwei mitreisenden jungen Männern auf die Tiere angesprochen. Unsere Erklärung, wir hätten sie nach Einwurf von Münzen vorschriftsgemäß aus dem Automaten geangelt, wird mit einem höhnischen Lachen beantwortet. Unter unmißverständlichen Beleidigungen verabschiedet man uns am Ausgang mit einem lebenslangen Hausverbot, was bei uns im Freundeskreis sogleich die Frage aufwirft, ob sich die Automaten nicht mal ein Herr von der Aufsichtsbehörde ansehen sollte.
Emily Wood
Ansteckend
Kurze Zettelbotschaften auf Küchentisch und Korkbrett unterzeichnete ich in der neuen WG immer mit dem Kürzel MST. Nach einigen Monaten nahm mich mein höflicher französischer Mitbewohner beiseite, um mich, leicht bedrückt, darüber aufzuklären, daß das in seiner Sprache aber leider nun mal die geläufige Abkürzung für »Maladie Sexuellement Transmissible« sei.
Mark-Stefan Tietze
Sehr geehrter Kapitalismus:
Hochmut kommt vor dem Fall!
Tilman Gecks
Tierliebe
Einen Teil ihres mädchenhaften Charmes verdankt meine doch schon über 30jährige Kollegin sicher ihrer Zuneigung zu knuddeligen kleinen Pelztieren. So weckte ich schnell ihr Interesse, als ich ihr berichtete, daß ich ein Häschen aus eisiger Kälte geborgen hätte, um es in meiner Wohnung sorgsam aufzuwärmen. Von solcher Fürsorge offenbar überrascht, lächelte sie mich herzlich an und wollte wissen, wie es weiterging. »Dann habe ich noch den Rotkohl und die Kartoffelklöße zubereitet.«
Markus Jacobi
Wie war ich?
Warum heißen bei Aldi die Papiertaschentücher ausgerechnet »Solo Talent«?
Carsten Wagner
Maschinenpark
Fragt mich eine Freundin doch neulich, nachdem sie in der Zeitung was über die Äußerungen des Augsburger Bischofs Mixa gelesen hat: »Sag mal, hattet ihr im Osten wirklich Gebärmaschinen?« Also, ich hab nie welche gesehen. Bei uns im Ort gab es allerdings eine Maschinenfabrik, ich wußte nie, was da für Maschinen zusammengeschraubt wurden. Aber so langsam bekomme ich eine Ahnung.
Nils Heinrich
Wie ein Ei dem anderen
Ich verstehe diesen Partnerlook-Hype überhaupt nicht. Bei uns im Nudistencamp machen wir das schon immer so.
Sascha Dornhöfer
Vom Verschwinden der Kindheit
Hätte ich meine Kindheit mit Internet-Anschluß verbracht, ich wäre verrückt geworden. Spätestens mit elf.
90567 Treffer beim »Gebrauchte Tampons«-Googeln!
Dirk Warnke
Bleibt kleben
Immer wenn ich als alter Showbusiness-Hase durch die Suburbanität schlendere, einen dieser illegalen Plakatierer mit gehetztem Blick sein schrecklich periodisches Handwerk verrichten sehe und gleichzeitig auch die beschissenen Bandnamen auf den Ankündigungen, frage ich mich immer, warum sich keine Combo einfach mal PLAKATE ANKLEBEN VERBOTEN! nennt. Das ist catchy, und, äh, über die Funktionalität sprachen wir ja bereits.
Gereon Klug
Regelungsdefizit
Welche Regeln sind eigentlich für den Fall vorgesehen, daß eine verlorene Wimper, die sich eine Person von der Fingerspitze bläst, während sie sich im stillen etwas wünscht, einer anderen Person, mit der die erste Person sich in diesem Augenblick das Kopfkissen teilt, genau ins Auge fliegt? Darf dann die andere Person diese Wimper aus dem getroffenen Auge fischen und wiederum selbst zur Wunscherfüllung verwenden, insbesondere, wenn sie nicht bemerkt, daß es keine Eigen-, sondern eine Fremdwimper ist? Und wird der zugehörige Wunsch gegebenenfalls der blasenden Person oder vielmehr dem tatsächlichen Wimpernspender zugerechnet? Muß nicht dem Mißbrauch von Wimpern insgesamt ein Riegel vorgeschoben werden, der sich aus der im Prinzip unbegrenzten Wiederverwertung von einzelnen Wimpern durch gezieltes Pusten ergibt? Gesetzgeber – übernehmen Sie!
Theobald Fuchs
Ausprobiert
Ich habe einiges ausprobiert und kann deshalb reinen Gewissens behaupten, daß man mit seinen Mitmenschen doch mit nichts so schnell ins Gespräch kommt wie mit einem ordentlichen Auffahrunfall im Berufsverkehr.
Christian Martin
Schätzungsweise
Die Schweizer gelten vielen Menschen als unverbindlich, meinem weitgereisten Onkel Fritz zum Beispiel. Zur Begründung erzählte dieser gerne, daß er einmal in einem Rasthaus am Walensee einen Kaffee getrunken und den einheimischen Kellner mit der präzisen Frage konfrontiert habe, wie breit denn hier der See sei. Der Kellner habe, so mein Onkel, nachdenklich und doch überzeugt geantwortet: »Ja, er ischt da schon ziemlich breit.«
Christoph Virchow
Mode
Ich kann mir nicht helfen. Der Hut, den Jan Delay seit neuestem zugunsten seines Funk-Images zu tragen pflegt, wirkt für mich irgendwie aufgesetzt.
Jan Wischweh
Stichwort Entschleunigung
Obwohl mir hektische Wichtigtuer und geschäftige Businesstypen seit jeher ein Greuel sind, komme ich nicht umhin, mir einzugestehen, daß auch ich zur Rastlosigkeit neige. Regelmäßig übernehme ich mich, überlade den Tag mit Aufgaben, fülle selbst kleinste noch freie Lücken mit zweckgerichteten Tätigkeiten und werde unruhig, wenn ich einmal nichts tue. Um dem mittels (Selbst-)Erkenntnis entgegenzuwirken, griff ich zu dem Buch »Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne« des Soziologen Hartmut Rosa. Aber von Besserung keine Spur: So las ich in der ersten Woche rund 100, in der zweiten 150 und in der dritten sogar sage und schreibe 240 Seiten!
Friedrich Krautzberger
Neue Generation
Es ist immer dieselbe Frage, die mich im Beisein meiner beiden 13jährigen Nichten beschäftigt: Schlafen die jetzt eigentlich schon oder chillen die noch?
Tasja Küchemann
Spüli
Ich bin ja ein bekennender Pril-Spüler. Geht einfach gut, das Zeug. Nur eins nervt: Seit altersher formulieren meine Synapsen zu dem bekannten Werbespruch »Willst du viel, spül mit Pril« unaufgefordert den weniger bekannten »Willst du wenig, spül mit Prenig« hinzu. Und das bei jedem Anblick der Flasche. Obwohl, jetzt beim Niederschreiben dieser Zeilen kommt mir sogar in den Sinn: »Willst du mittel, spül mit Prittel«. Arzt, bitte.
Helge Möhn