Humorkritik | Juni 2021

Juni 2021

»Die Ressource Humor liegt in vielen Institutionen und Unternehmen
erfolgreich brach oder bleibt unerlaubt. Das wollen wir ändern!«

Deutsches Institut für Humor

Toter untoter Doderer

Der Romancier Heimito von Doderer, 1896–1966, ist vieles: Großbürgersohn und Familienhasser; 80 Prozent seines Lebens erfolglos, in den letzten 20 Prozent weltberühmt; Teil des gepflegten österreichischen Literaturkanons (»Die Strudlhofstiege«) und hemmungsloser Hochkomiker (»Die Merowinger«); subtilsublim und saugrob. Und, wie man bei seiner letzten Gefährtin Dorothea Zeemann nachlesen kann (»Reptil und Jungfrau«): kalter Faschist wie auch fröhlicher Rezitator avantgardistischer Fäkalpoesie.

Bisher unbekannt war mir, dass Doderer zehn Jahre nach seinem Tod wiedergeboren wurde. Und zwar im Körper eines Mädchens aus der proletarischen Wiener Großfeldsiedlung, wohnhaft in der Heimito-von-Doderer-Gasse. Anders als anderen Wiedergeborenen ist es ihm allerdings nicht vergönnt, autonom zu handeln, vielmehr betrachtet er die Welt durch die Augen der kleinen Marie und muss sich, Zuschauer statt Teilnehmer, in der ungewohnten Umgebung zwischen Laufstall und Kindergarten, Freibad und Gemeinschaftswaschküche zurechtfinden. Bis er versucht, mit seiner kleinen Beherbergerin in Kontakt zu treten, auf dass sie irgendwann schreiben lerne und ihm seinen todesbedingt abgebrochenen Roman No. 7 vollenden helfe – was eine Geduldsprobe ist, solange das Kind noch im Krabbelalter steckt: »Marie! schrie ich, Marie, hören Sie mir zu! Sie müssen meine Befehle aufs Genaueste befolgen. Nehmen Sie Schwung und rollen Sie seitlich auf Ihren Bauch. Das schafft jedes Kind, so auch Sie!«

Nadja Buchers »Die Doderer-Gasse« (Milena) hat mich da erfreut, wo zwei Welten aufeinanderknallen: das Siezen eines Babys vs. Biene-Maja-TV, Doderers Ekel vor Schrebergärten und Kleinbürgervergnügen vs. kleine Mädchen, die Modezeitschriften lesen und »99 Luftballons« singen. Erkennbar Freude am eigenen Sujet hat das Buch dort, wo es die Spezialempfindlichkeiten des wiedergeborenen Autors aufnimmt, etwa den Hass auf den Berufsstand der Hausmeister (»… als gedrungenes, gräuliches Staubgewächs erschien Lurch bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten. Lurch ragte nie weit aus seiner Hausmeisterwohnung hervor, maximal aus den Fenstern, wo er sich ein Dienstkissen bereitgelegt hatte«) oder Dodererismen einflicht, wenn etwa im Kindergarten eine »Plombierung« erwogen wird: »Maries Faust, die einem Hammer gleich auf Katharinas Schädel plauzte.«

Als Doderers Widerpart taucht irgendwann auch der Fin-de-Siècle-Architekt Adolf Loos auf, im Körper von Maries bester Freundin nämlich, und fortan streiten sich die beiden durchaus problematischen alten Herren, Ex-NSDAP-Mitglied der eine, pädophiler Schmierlappen der andere, ob die Reinkarnation nun als Chance aufzufassen sei oder als Höllenstrafe, verschärft durch die Qualen des Kinderfernsehprogramms der Achtzigerjahre. Doderer und Loos unter »Wickie«-Folter: das versöhnt mich dann damit, dass die Sprache des Romans (»Er verzog sein ansonsten so verschmitztes Gesicht zu einer Bitte«) trotz großer Lust am parodistisch Gespreizten (»… Situationen, die grundsätzlich jeglicher Importanz entbehrten …«) nicht immer ganz trittsicher auf den sprachlichen Höhenkämmen des Vorbilds wandelt.

Aber dafür habe ich schließlich den alten Heimito selbst. Und für die Fortsetzung nun eben die junge Nadja.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella