Humorkritik | Januar 2015
Januar 2015
Unsere wohltemperierten Humoristen mit ihrem behaglichen Lächeln der Philister-Toleranz (die im Grunde Überhebung ist) haben sich leider von den dunklen Quellen allen Humors so weit entfernt, daß sie glauben, Humor sei identisch mit dem, was sie Optimismus nennen.
Otto Julius Bierbaum
Fil, ganz ordentlich
Nicht genug kriegen kann ich von ihm, dem Comicvirtuosen und Bühnenfex Fil, lobe ihn nach Kräften und auch in seltener Einhelligkeit mit dem Feuilleton (wenngleich die Erkenntnis, daß Fil sehr lustig ist, bei mir schon ’94 zu lesen war – und nicht erst 2010, wie beim elenden Rest). Mit klopfendem Herzen habe ich daher seinen ersten, autobiographisch grundierten Roman aufgeschlagen, »Pullern im Stehn – Die Geschichte meiner Jugend« (Rowohlt). Und wurde nicht enttäuscht: Die Geschichte über einen unsportlichen, mit reichlich Phantasie gesegneten Jungen, der, obwohl von allerlei Instanzen der Reformpädagogik scheinbar wohlbehütet, einfach immer weiter und nahezu rettungslos Richtung Abgrund stolpert, hat mich schnell in Bann geschlagen. Selten hat man die »sonnige hohle Deppenzeit« der Jugend so rührend, so lachhaft traurig beschrieben gehört. Die Psychiatrie, noch ein Suizidversuch wirken in all ihrem Grauen fast märchenhaft, ja heiter, wenn sie der weltweise, sprachverliebte Onkel Fil erzählt. Mit großer Wärme einerseits, klinischer Neugier andererseits erforscht er aber auch die Psychopathologien von Eltern, Verwandten, Mitschülern: »Am rätselhaftesten waren die Lehrer. Was wollten sie? Sie funkelten mit ihren Brillen, redeten ins Nichts, fingen an, was an die Tafel zu schreiben, hörten mittendrin wieder auf, setzten sich kokett aufs Pult, ein Bein übers andere geschlagen wie alte Huren, die nicht mehr wirklich dran glaubten.« Die verschrobene Pädagogik der Achtziger wird zärtlich und ohne falsche Häme zerlegt, etwa anhand der Verliebtheit eines Lehrers in renitente Schülerfiguren à la Plenzdorf und Salinger: »Feistels Leben mußte die Hölle sein. Er war wie ein Bauer, der gern ein Schwein wäre. Aber Pechsache, Freund Tafelschwamm: Es hieß leider nicht ›Der Lehrer im Roggen‹ oder ›Die alten Leiden des alten L.‹.« Noch kleinste Anlässe bringen den Filschen Witz zum Funkeln, etwa ein frisch gekauftes Sportgerät, der Bodymaster, »ein Wort, bei dem sich die Zehennägel der Zunge hochrollten… Ich schrieb’s auf Zettel, ich sang es leise vor mich hin. Gerade weil es so ein peinliches Wort war – so aus einer anderen, total gestörten Welt zu kommen schien –, machte es mir Hoffnung. Bodymaster.«
Wenn ich eins bemäkelnswert finde, dann, daß kunstvolle Gaukeleien dieser Art eher dünn gestreut sind. In dieser Hinsicht kam mir das Buch reichlich zurechtgezupft vor: Fil, der geniale Sprachphantast, der in seinen Comics hemmungslos aus- und abschweift, sich in Wortkaskaden und Stimmenimitationen verliert und darüber die Haupthandlung vergißt, darf hier kaum dazu ansetzen, wird schon nach wenigen Zeilen zurückgepfiffen, zum bloß Erzählerischen verdonnert. Auf jeder Seite glaubte ich die Spuren zu sehen, die ein emsig herumschnippelnder und mit allen Wassern des Creative Writing gewaschener Schreibcoach hinterlassen hat: Denk an die Plot Points, Fil! Erzähl das doch als Dialog, Fil! Geht das auch halb so lang, Fil? Oft hatte ich das Gefühl, eher in ein Digest hineinzublicken als in die prall gefüllte Wundertüte, als die ich einen echten Fil zu kennen glaube. Es wäre wirklich ironisch, wenn ein Roman über die Vorhöllen der Erziehung beflissenen Literaturpädagogen in die Hände gefallen wäre.