Humorkritik | April 2015

April 2015

»Das Amüsante signalisiert bei uns ja immer: Jetzt kann dir nichts passieren, jetzt gibt’s nur Witze. Und ich nutze diese Arglosigkeit des Lesers, ich serviere diese Situationen immer mit einer Beilage, die unverdaulich ist.«
Timur Vermes

Charlie und die Folgen

Die Verhältnisse normalisieren sich wieder, darüber könnte ich im Grunde froh sein. Übertriebene Sympathien für Satiriker schlagen nun in neues Mißtrauen und alte Abneigung um. Viele, die nach dem 7. Januar unbedingt »Charlie« sein wollten, bemerken endlich, worauf sie sich da einließen: Vermutlich haben sie zum ersten Mal solche satirischen Magazine von innen gesehen und wundern sich nun, was Satire alles darf. Offenbar geschockt von der »Arroganz« und dem »Fundamentalismus« der Satiriker, appellieren sie an nun an deren »Verantwortungsbewußtsein« (W. Thierse, pars pro toto). Komikspezialisten wie der Papst schwelgen in Gewaltphantasien, andere herkömmliche Religionen fordern »Respekt«, ein auch bei jungen Wilden mit und ohne Migrationshintergrund beliebtes Mittel, um anderen Angst zu machen. Andere Meinungsmenschen schwärmen von Qualitätssatirikern wie Kurt Tucholsky und George Grosz, beide nicht zimperlich im Umgang mit Klischees. Immer nach dem Motto: Nur ein toter Satiriker ist ein guter Satiriker.

Man möchte der Satire Grenzen ziehen – oder ihr zumindest höflich das Ziehen eigener Grenzen nahelegen: »Qualität ist nicht Kriterium ihrer Legitimität«, heuchelt etwa Christian Geyer in der FAZ grundsätzliches Verständnis für das Wesen von Satire. »Sie darf grottenschlecht und geschmacklos sein, bieder und altherrenhaft, ästhetisch unterste Schublade«, und er schließt: »Aber gerade deshalb fragt sich, ob sie das Zeug hat, jene Speerspitze der Aufklärung zu sein, als die sie sich nach Paris und Kopenhagen geriert.« Welcher Satiriker, frage ich Herrn Geyer, soll sich denn ernsthaft derart geriert haben? Waren es nicht vielmehr unsatirische Journalisten, Politiker und öffentliche Bedenkenträger, die den sehr speziell motivierten Mord an Redakteuren eines Satiremagazins zu Anschlägen auf die europäischen Werte und eine möglichst weit gefaßte Presse- und Meinungsfreiheit umerklärt haben, um sich selbst pathetisch mitgemeint und mitgemordet zu fühlen? Nur um sich danach für befähigt zu halten, in Satirefragen mitzureden, ihren wohlausgewogenen Senf rauszuquetschen und sich prima mittig fühlen zu können zwischen Radikal-Islamisten und Radikal-Satirikern (deren Taten ihnen bei genauerem Nachdenken also irgendwie vergleichbar scheinen)? Und wenn sich der Hilmar Klute von der Süddeutschen fragt, »ob die überzeichnete Darstellung eines Muslimen (!) mit langer Nase und wulstigen Lippen wirklich so viel mehr transportiert als routiniert hergestellten Rassismus«, dann ist Hopfen und Malz wohl verloren auf immerdar: Wenn einer sich partout dagegen sträubt, daß Klischees auch uneigentlich gemeint sein können, und die eigene Denkleistung zur Ergänzung einer satirischen Aussage halt ums Verrecken nicht vollbringen kann, dann, ja dann – darf sich dieser Jemand immer noch als feinsinniger Ringelnatzversteher gerieren und für befugt halten, einem der Großen der komischen deutschsprachigen Literatur, eben Ringelnatz, eine Biographie zu widmen; aber das ist vielleicht eine eigene Betrachtung wert:

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg