Humorkritik | April 2015
April 2015
»Das Amüsante signalisiert bei uns ja immer: Jetzt kann dir nichts passieren, jetzt gibt’s nur Witze. Und ich nutze diese Arglosigkeit des Lesers, ich serviere diese Situationen immer mit einer Beilage, die unverdaulich ist.«
Timur Vermes
Dem Stumpfsinn verpflichtet
Hilmar Klute, bei der Süddeutschen Zeitung für die launige Rubrik »Streiflicht« zuständig, hat einem der Großen der komischen deutschsprachigen Literatur eine Biographie gewidmet (»War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz«, Galiani). Das muß einen Humorkritiker selbstredend etwas angehen, erst recht, wenn es sich, wie der Verlag per Klappentext verheißt, um »ein grandios geschriebenes Buch« handelt. Grandios geschriebene Bücher les’ ich gern. Und, meiner Treu, Klutes Werk über Ringelnatz, den laut Klute einerseits »großen kleinen Mann mit der gewaltigen Nase«, freilich aber auch »kleinen schmalen Mann mit der langen Nase«, ist grandios: und zwar grandioser Unfug. Unfug im kleinen, wenn Klute merk- und denkwürdige Phänomene wie »das Schleudertrauma des Krieges« erwähnt (jenes Ersten Weltkrieges nämlich, in welchem die bedauernswerten »U-Boote zur Unsichtbarkeit verdammt sind und wenig repräsentative Leuchtkraft besitzen« und nach dessen Ende »die Männer, die im Krieg waren, keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen, auch weil sie keine Füße mehr haben«), auf kryptische Weise von Versen spricht, »denen der Autor im Untertitel dem Stumpfsinn verpflichtet sieht«, und eigenwillige historische Beobachtungen anstellt, so wie hier zum schlimmen 1914er Jahr: »Es ist eine kriegstaumelnde, weichgespülte Nation, die ihre Krieger mit wehenden Taschentüchern in den Untergang winkt«. Überhaupt legt Klute eine unfreiwillige Komik an den Tag, deren erheiternde Skurrilität von schon Ringelnatzschen Gnaden ist: »Wer einem anderen Menschen seine Liebe gesteht und dieses Geständnis mit einem entsprechenden Geschenk krönen möchte, wählt etwas Lebendiges, eine Blume vielleicht oder, größer, aber durchaus passend: ein Kind.« Laßt Kindlein sprechen. O.s.ä. Es ist allerhand.
Dem Unfug im sprachlichen Detail korrespondiert der inhaltliche, z.B. wenn es auf Seite 56 heißt, der eine Seemannslaufbahn anstrebende Ringelnatz »brauchte ein Segelschiff, um die Patente zu bekommen«, auf Seite 58 hingegen: »Mit dem Frachtdampfer – ein Dampfer muß es ja sein wegen des Patents – fährt er über Venedig, Konstantinopel nach Nikolajew« – was einen nicht annähernd so abenteuerlichen Trip verspricht wie »eine belanglose Schiffahrt über Kiel, Hamburg, Berlin nach Cuxhaven zurück«. Es ist halt alles nicht von Belang, und wer will sich schon mit Geographie aufhalten, wo es doch gilt, immer wieder die ganz großen Fragen zu stellen: »Wer weiß, was er noch in sich entdeckt hätte, wäre er nicht ein Jahr, nachdem die Nationalsozialisten ihm die Lebensgrundlage nahmen, gestorben.« Ähnlich knifflig: »Oder war der Traum des Joachim Ringelnatz von der Welt als poetischer Benutzeroberfläche an der harten Kante des Dritten Reiches zerschellt?« Bzw. recht grundsätzlich: »Was war an diesem kleinen, spindeldürren und zarten Mann, der das Publikum seiner Zeit in einer Weise verzauberte, daß diejenigen, die ihn sahen, die Nachgeborenen bemitleideten, weil ihnen das Ereignis Ringelnatz nicht vergönnt sein würde?« Ganz zu schweigen vom Ereignis dieser fabelhaft zusammenfabulierten Klute-Ringelnatz-Biographie, einer Biographie, die, das muß gesagt werden, ganz wie Ringelnatz »einen großen Park an Darstellungsformen« aufweist. Und übrigens großartig geschrieben ist.