Humorkritik | November 2014

November 2014

Schlechte Gedichte müssen schon außerordentlich gut sein, um wirklich komisch zu sein.
Peter Hacks

Baron Ochs: Pro und Kontra

Das Mißverständnis ist wohl immerfort und für alle absehbare Ewigkeit festgeschrieben: Der Baron Ochs von Lerchenau in Richard Strauss’ »Rosenkavalier« gilt unseren alten und neuen Opernonkeln und vor allem -tanten als gemütliche = humorvolle Figur; und ist doch beides fast gar nicht.

Sondern, auch in den Worten seiner Verwandten, der Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, ein »aufgeblasner schlechter Kerl«, immer laut und genuin eitel-dümmlich-selbstzufrieden und insofern beinahe ekelhaft. Warum ist er, empirisch vermutlich belegbar, genannten Tanten allzeit sympathisch, fast der Traum eines Mannes und Ehemanns, zumindest eines splendiden Unterhalters?

R. Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals Dreistunden-Oper hat ihren Kern und ihre Höhepunkte im Lyrischen, in der zentralen und fast außerirdisch schönen Rosenüberreichung des 2. Akts zumal; ihren schmelzenden, wie traumverlorenen Melismen und gleichsam jenseitsverhangenen Silberlametta-Tönen. Das Komische in der »Komödie für Musik« von 1911 ist zumindest zwei Akte lang ziemlich exklusiv dem Baron und tiefen Baß Ochs anvertraut, und deshalb gilt er gleichwie automatisch und geheiligt durch eine gut einhundertjährige Aufführungs-Fehlpraxis als hochhumoristische Figur; und das eben ist bestenfalls halbwahr.

Im Richard-Strauss-Jahr 2014 gibt und gab es außer da und dort Rara wie »Guntram« und »Intermezzo« und »Die Liebe der Danae« und natürlich die blutrünstigen Effektfetzen »Salome« und »Elektra« auch wieder viel »Rosenkavalier« zu sehen und zu hören. Strauss plante ihn als möglichst erfolgreiches Gegenstück zu jenem Frühwerk und dezidiert in der giocosen Commedia-Kontinuität von Mozarts »Figaro«. Aber während dessen Protagonisten Figaro und Graf Almaviva kraft freiwilliger und unfreiwilliger Komik Anteilnahme, vielfach Rührung hervorrufen, tut Ochs das nicht. Oder: kaum.

Baron Ochs (zwischen ca. 30 und 58) ist ein ungutes Exemplar altösterreichischen Landadels, in vielerlei Weise Ausbeuter seiner ihm gleichwohl treuergebenen Domestiken. Er empfindet sich in dieser sozialen Schräglage wohl selber als, je nach Bedarf, humoristisch, humorvoll – auch da noch, wo er nur noch anachronistische Zumutung, in österreichisch-bayerischer Diktion ein Kloiffel ist, ein Unhold, ja ein Unheimlicher. Prima vista schwer zu verstehen, kaum glaublich, daß er den erwähnten Operntanten eine Attraktion, das Ideal eines lustigen und potenten Mannsbilds vorstellt. In offenbarer und ihrerseits unheimlicher Selbstläuferei.

Das Rätsel löst sich teils in der Art und Manier eben unserer ewigen (Opern- und Salon-)Tanten, das Humoristische mit dem meist zudem falschen Gemütlichen gleichzusetzen. Mit einem ungefähren Behäbigen und Behaglichen, das ihnen – noch gar in der Oper! – irgendeinen trübsinnigen Schutz verspricht. Oftmals wählen sie derart ochsartige falsche Fuffziger auch in der Politik (Franz Josef Strauß, Bangemann usw.). Und heiraten sie manchmal gar. Dann gnade ihnen Gott.

Und doch haben die Tanten (und wohl nachwachsenden Nichten) hier nicht mal ganz unrecht. Denn ein paarmal im Verlauf der Oper läuft Ochsens ungut-falsches Humoristisches doch tatsächlich in einen interessanten, achtbaren Charakter über; zeigt Hofmannsthal im Verein mit Strauss, daß er nicht bloß klangzauberischer Lyriker sein kann, sondern auch Wortkomiker. »Die schöne Musi!« seufzt das jetzt doppelt mutierte Oktavian-Mariandl unnachahmlich lachhaft im ziemlich chaotischen 3. Akt – und, noch schöner und danebener, gerichtet an den verführungswilligen Ochs: »Nein, nein, nein, nein! I trink kein Wein«, um dem geilen Baron nicht untrainiert angesäuselt anheimzufallen. Aber auch ihm, Ochs, wird ganz zuletzt noch eine Art höhere Dignität zuteil, dank Hofmannsthals Sprachkunst, die da den Baron final die bezwingend formulierten Versöhnungsworte sagen läßt: »Ein Lerchenauer war noch nie kein Spielverderber nicht!«

Und diese Singularität einer südlich-ländlichen Tripel-Verneinung steht eben nicht beim Polt oder schon beim Ludwig Thoma. Sondern halt bei Hofmannsthal und seinem Strauss. Der allerdings wieder mehr ochsähnlich als Person ein ungut behäbiger, schlechthumoristischer Tarockspieler gewesen sein soll.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg