Humorkritik | Oktober 2013

Oktober 2013

Schwierige Satire

Satirische Romane haben es schwer, speziell bei einfühlsamen Lesern. Weder Voltaires »Candide« noch Swifts »Gulliver« oder Flauberts »Bouvard und Pécuchet« laden zu empathischer Identifikation ein, da man bei der Lektüre den Eindruck nicht los wird, diese Helden seien nur erfunden worden, um eine Idee zu personifizieren und eine Theorie in Handlung umsetzen zu können. Dieser Eindruck ist richtig, und ich muß zugeben, auch ich tue mich mit satirischen Langformen meist schwer. Ausnahmen wie Joseph Hellers »Catch 22« und Evelyn Waughs »Tod in Hollywood« bestätigen die Regel.

Auch Nathanael Wests letzter Roman »Der Tag der Heuschrecke«, der in diesem Herbst in einer neuen Übersetzung vorgelegt wird, spielt in Hollywood. Und ihm ist das seltene Kunststück gelungen, mit dieser Satire auf den amerikanischen Traum zumindest ein Gefühl beim Leser zu erzeugen: nämlich hoffnungslose Tristesse.

Wie West das schafft, ist bemerkenswert; wie in einem guten Drehbuch ordnet er auf engstem Raum jede seiner Szenen den beiden Grundthemen unter: Täuschung und Enttäuschung. Daß der Autor für beides Spezialist ist, beweist seine Biographie: Nathanael West wird 1903 in New York als Nathan Wallenstein Weinstein geboren. Sein jüdischer Geburtsname kommt ihm einmal zupaß, als er die guten Prüfungsergebnisse eines Namensvetters nutzt, um sich widerrechtlich an der renommierten Brown University zu immatrikulieren; Endstation einer Schulkarriere, die aus Versagen, Verweigerung und gefälschten Zeugnissen besteht. Ausgestattet mit dem Geld seiner Eltern schafft er es bald, sich auf dem Campus als ästhetisierender Dandy und intellektueller Snob zu etablieren. Jetzt stört ihn sein jüdischer Name, der ihn von der WASP-Elite ausschließt, bis er ihn 1926 offiziell in »Nathanael West« ändert, was unter anderem seine antisemitische Attitüde etwas glaubwürdiger macht.

Um die Frage beantworten zu können, ob er nun als Dichter oder als Maler sein Glück versuchen soll, läßt er sich von seinem Onkel eine Reise nach Paris finanzieren, die er später zu einem jahrelangen aufregenden Trip durch die Welt der »lost generation« mystifiziert. In Wirklichkeit war er kein halbes Jahr in Paris und kam über den Status eines literarischen Touristen nicht hinaus. Berühmtere Zeitgenossen wie Hemingway, Eliot und Miller hat er meist nur aus der Ferne beobachtet.

Was er gesehen hat, festigt in ihm die Überzeugung, daß auch Künstler nur eine Rolle spielen – und die Kunst der Moderne nicht viel mehr ist als eine erfolgreiche Marketingstrategie. Erfolgreich war West allenfalls als Drehbuchautor für Lowbudget-Produktionen, die allesamt vergessen sind. Seine Romane wurden viel bewundert, u.a. von Kollegen wie Dorothy Parker und Scott Fitzgerald. Gelesen wurden sie wenig.

Ob sich das mit der Neuausgabe ändern wird, bezweifle ich – will mir aber nicht nachsagen lassen, ich hätte nicht alles getan, um zur Wiederbelebung dieses Autors beizutragen. Deswegen: kein kritisches Wort – nur eine Empfehlung.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg