Humorkritik | Dezember 2013
Dezember 2013

Versaut ist dieser Ort!
Können Sie Latein? Dann wissen Sie ja, was »Seni supino colei culum tegunt« bedeutet. Kleine Hilfestellung: Es bedeutet »Bei einem zurückgelehnten Alten bedecken die Eier den Arsch.« Auch die Maxime »Malim me amici fellent quam inimici irrument« können Sie sicherlich übersetzen; sie lautet auf gut deutsch: »Besser, von Freunden einen geblasen zu kriegen, als von Feinden in den Mund gefickt!« Einen einfachen Aussagesatz aber wie »Secundus hic cacat / hic cacat / hic cacat« verstehen vielleicht sogar Nichtlateiner, schließlich besagt er nichts weiter als: »Secundus scheißt hier / scheißt hier / scheißt hier.«
Allen, die in der Schule mit den sauberen Texten von Caesar, Cicero & Co. groß geworden sind, sei’s gesagt: Es gab auch eine weniger klassische, musterhafte und neunmalkluge Antike, ein nicht ganz so weises, sittenstrenges und hüftsteifes Rom – oder jedenfalls Pompeji, aus dem das Reclam-Büchlein »Glücklich ist dieser Ort!« gut 1000 Graffiti auf lateinisch sowie, übersetzt von Herausgeber Vincent Hunink, auf deutsch versammelt. Nicht alle, genauer gesagt: viele, ganz genau: einige, mit anderen Worten: die besten sind ein Fall für Hans Mentz.
Während oben die großen Autoren sich über Philosophie, Staatskunst und patriotische Geschichte verbreiten und dabei die patriarchalisch-soldatische »virtus«, die Tugend männlicher Stärke, Ehre und Zucht hochleben lassen, lassen unten die kleinen Leute das Sublimieren einfach sein: Knappe, sachliche Werturteile wie »Felix bene futuis« (»Felix, du fickst gut«) zieren die Hauswände in Pompeji ebenso wie simple Personenbeschreibungen in der Art von »Martialis cunuligus«, d.h. »Martialis Fotzenlecker«, oder »Miduse fututrix«, id est »Medusa Fickmaus«.
Obszönes und Vulgäres, Flüche, Beschimpfungen und Witze: toll schrieben es die alten Römer an die Hauswände. Komisch ist das schon an sich und überhaupt, d.h. wegen des Kontrasts zur Etikette; außerdem und grundsätzlich wegen des Gegensatzes zu dem guten Ruf, in dem sich die Antike heutzutage sonnen darf; und in manchen Fällen auch, weil schmutziger Inhalt und unerwartet feine Form eins werden wie in diesem Distichon an einer Fassade nahe einem Gasthaus: »Miximus in lecto fateor peccavimus / Hospes si dices quarte nulla matella fuit«, will besagen: »Wir haben ins Bett gepinkelt. Ich geb’s zu: Unser Fehler, / Gastgeber! Fragst du: ›Warum?‹ Es gab gar keinen Nachttopf!«
Während Nachtgeschirr heute ebenfalls nicht mehr genutzt wird und das Gedicht schon deshalb ein wenig den Geist einer vergangenen Zeit verströmt, ist ein anderer Zweizeiler aktuell geblieben, der Luthers grobianische Tischsitten vorwegnimmt: »Ructa quom biberis feliciter ac quoque crude / lusum clumiaris aude vocilia magis«, also: »Rülpse ordentlich, wenn du trinkst, und wage dich auch, du mit vollem Magen, / ans Arschspiel. Laß es lauter klingen!«
Zeitlos und also auch heute zeitgemäß ist es, was vor bald 2000 Jahren an die Mauern gekritzelt wurde – ob die Warnung vor einem falschen Umgang mit Behörden: »Accendum qui pedicat urit mentulam«, deutsch: »Wer dem Amtsdiener in den Arsch fickt, dem versengt es den Schwanz«; ob die Klartext sprechende Wahlkampfparole: »Isidorum Aedilem oro vos faciatis optime cunu lincet«, nämlich: »Bitte wählt Isidorus zum Ädil – der Beste fürs Fotzenlecken!«; oder ob des schieren Unmut am modernen Regietheater äußernden Hexameters, den jemand an Pompejis Großem Theater an die Wand krakelte: »Venimus hoc cupidi multo magius ire cupimus«, »Verlangend sind wir hierher gekommen, viel lieber noch möchten wir gehen.« Und weil auch Lebensweisheiten wie die folgende nach wie vor zutreffen: »Si quisquis bibit cetera turba est«, heißt: »Wenn einer trinkt, ist alles andere ihm wurscht« – mache ich jetzt besser Schluß. Ein Prosit auf Pompeji!