Humorkritik | September 2012

September 2012

Ulkige Kinnhaken

Abgebissene Ohren, tätowierte Gesichter und vergewaltigte Frauen – Mike Tyson war schon immer für Überraschungen gut. Allerdings schien keine dieser Taten so rundheraus abwegig wie die Idee, eine eigene »Iron Mike«-Show am Broadway auf die Bühne zu bringen. Doch seit Anfang August können Schaulustige den ehemaligen Schwergewichtsboxer tatsächlich in »The Undisputed Truth« beobachten, in person, live on stage.

Was zunächst nach Freakshow und verzweifeltem Marketing-Gag aussieht, verdient einen zweiten Blick, denn: Die Show funktioniert. Was erstaunlich ist, denn Tyson war nie ein großer Redner im Stile Alis, und sein Verstand gilt als so stumpf wie seine Dampfhammerschläge. Er verdiente dereinst bis zu dreißig Millionen Dollar pro Kampf, war aber schon kurz nach dem Karriereende bankrott. Das zeugt von Einfalt wie von Größe, und wohl genau hinter dieser Mischung steht der Erfolg seiner Show. Sie erspart dem rhetorisch ohnehin unversierten Schläger längere Suaden, dafür darf er kurz und knapp »die Wahrheit« erzählen und in absurden und aberwitzigen Szenen seine eigentlichen Stärken ausspielen: Verschwendungssucht, Sexgier und die Neigung zum Verbrechen.

Filmregisseur Spike Lee hat die wilde Anekdotensammlung darüber hinaus in eine verdauliche Form gebracht und vereinzelt Pointen gesetzt. Natürlich ist »The Undisputed Truth« kein Zeugnis der Hochkomik; ich halte solch eine »Lebens-Revue« dennoch für bemerkenswert, da diese Form der Bühnenbelustigung momentan Schule macht.

Inspiriert von Eve Enslers Stück »The Vagina Monologues« (1996) tourt beispielsweise der in Deutschland reichlich unbekannte Stand-up-Comedian Joey »Coco« Diaz derzeit mit seinen »Testicle Testaments« durch die USA, in denen er ebenfalls die abgedrehtesten Geschichten seines nicht minder verkorksten Lebens erzählt, die, wie bei Tyson, nicht ausschließlich Lacher provozieren. Der Mehrwert dieses »Genres« wird eher für Teenager zu greifen sein, denen der unterhaltsame Zeigefinger eines bühnentauglichen oder prominenten Streetworkers imponiert.

Worüber ich mir jedoch ernstlich Sorgen mache, ist die Möglichkeit, daß sich dieser Trend – und es wird so kommen – auch hierzuland bemerkbar macht. Und den Gedanken, Graciano Rocchigiani, René Weller oder Frank Hanebuth im Rampenlicht fabulieren zu sehen, muß ich mir schnellstens aus dem Kopf boxen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg