Humorkritik | Oktober 2010

Oktober 2010

Gru & seine Bohnenwichte

In all den Jahrzehnten, in denen Disney den Markt für animierte Langfilme unangefochten beherrschte, haben auch die vergleichsweise glücklos agierenden übrigen Studios es selten gewagt, sich von Disneys etablierten Konventionen zu lösen. Zu den unerfreulicheren zählten dabei schöne Prinzessinnen, niedliche tierische Begleiter, simple Gut-Böse-Schemata, end- und schamlos ausgewalzte Sentimentalitäten, schmieriges Gesinge, knapp am Tod vorbei schrammende liebenswerte Nebenfiguren, der Verzicht auf jegliche Absurdität und formsprengende Gags sowie überhaupt relativ sparsam dosierter Humor. Seit Pixar seinen Vertriebspartner Disney vom Thron gestoßen und anhaltend Erfolg mit Produktionen hat, die deutlich weniger formelhaft sind und von mehr Vertrauen in die Ideen der Autoren und Animationskünstler zeugen, hat das erfreuliche Auswirkungen auf den Ausstoß der ganzen Branche. Jüngstes Beispiel: »Ich, einfach unverbesserlich«, der erste Film des neu gegründeten Universal–Trickfilmstudios Illumination Entertainment.

 

Mit hoher Pointendichte wird hier eine hübsch abstruse Geschichte von einem Superbösewicht namens Gru erzählt, der über ein Heer von kleinen bohnenförmigen Wichten gebietet, mit deren Hilfe er seine Schurkenstücke begeht. Schwierigkeiten bereitet ihm nur die Bank, die ihm die Finanzierung des nächsten großen Coups, des Raubs des Mondes, verweigert und einen jüngeren Fiesling begünstigt. Gru muß sich dreier Waisenkinder bedienen, um trotzdem sein Ziel zu erreichen. Ja, natürlich sind die drei niedlich, und natürlich nähern sie sich Gru gegen seinen Willen an, und natürlich wird am Ende alles gut, aber bei aller Vorhersehbarkeit bereitet selbst die obligatorische Läuterung Grus durch die geschickte, verzögerungsreiche Erzählweise Vergnügen (Niedliche kleine Waise: »Darf ich deine Hand nehmen?« Gru: »Nein!«).

 

Die von hie und da zusammengeklaubten Versatzstücke wurden gekonnt neu verschraubt, Gefühlsduseleien werden von immer rasch darauf folgenden Fiesheiten in Schach gehalten, und im Zweifel galt offenbar die Devise: lieber ein Witz mehr und dafür ein Handlungsgerüstbauteil weniger. Auf die Nerven ging mir nur der Nachwuchsschurke Vector, was vielleicht an dem penetranten Nasalgesabbel des Soul-Rappers Jan Delay lag, der die Synchronstimme besorgte. Der Film richtet sich wie üblich vor allem an Familien – wer sich ihn aber frei von Kindergekicher und Popcorngekrümel anschauen will, für den wird es in den meisten Kinos, zumindest in den ersten Wochen, auch Abendvorstellungen geben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg