Humorkritik | Oktober 2010

Oktober 2010

Lachendes Österreich

Einige der »anmutigsten Blüten« des österreichischen Volkshumors lachen uns aus den Kinderversen entgegen, die Karl Kraus 1924 in der Fackel nachgedruckt hat: »Bi bo, bi bo, / Ziach d’ Kotz d’ Haut o, / Häng’s am Steck’n, / Loß verrecken, / Wirf’s in Grob’n, / Daß alle Hund’ schob’n. / Pfeiferl, geh, geh, / Sonst wirf i di in’ Schnee, / Sonst wirf i di in d’ Schindagrab’n, / Daß da alle Hund’ und Katz’n d’ Darm auszahn.« Kräftige Elemente dieses goldenen Humors lassen sich auch in Walter Kliers Roman »Leutnant Pepi zieht in den Krieg« finden (Limbus Verlag). Darin hat der Autor anhand von Briefen und Tagebuchnotizen seines Großvaters dessen Erlebnisse dokumentiert, von der Jugendzeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

 

»Bis jetzt ist der Krieg ganz lustig«, schreibt der Titelheld Pepi am 2. August 1914, nach einem schweren Besäufnis unter Kameraden. Aber auch weniger erfreuliche Ereignisse im Frontsoldatenleben weiß er in gehobener Stimmung zu referieren: »Einem von meinen Leuten riß eine Granate den Kopf wurzweg.« Und mit dem größten Vergnügen schildert er eine militärische Züchtigung mit Stockhieben: »Endlich befahl der Feldwebel dem Koch, nachdem von einem Apfelbaum eine entsprechende Gerte requiriert worden war, dieses Amt vorzunehmen, nämlich das des Profossen. Er befahl den drei Delinquenten: ›Rumpf vorwärts beugen und den Mantel zuerst ablegen.‹ Darauf erfolgte der vorgeschriebenen Strafe Ausmaß auf den H…«

 

Die Scham, die dem guten Pepi geboten hat, das Wort »Hintern« abzukürzen, ist jedoch nicht groß genug gewesen, um ihn daran zu hindern, die folgende Szene zu beobachten und sie in heiterster Gemütsverfassung wiederzugeben: »Die zwei ersten verzogen gar mächtig das Gesicht. Dem dritten war die Sache ziemlich gleichgültig. Außerdem kam dem Oberleutnant der Umfang seines Gesäßes ziemlich groß vor, weshalb der Oberleutnant befahl, die Hose herunterzuziehen. Wir waren sehr erstaunt, unter der Hose noch zwei dicke Flanellhemden und eine nicht minder dicke Unterhose zu sehen. Der Feldwebel überlegte, ob er angesichts dieser Tätigkeit nicht noch einmal anfangen sollte, und befühlte den anliegenden Kleidungsstoff. Ich mußte beinahe bersten vor Lachen.«

 

Ein Oberleutnant erteilt den Befehl, einem erwachsenen Mann die Hose herunterzuziehen, damit ihm die Stockschläge aufs Hinterteil größere Schmerzen bereiten, und ein Leutnant muß bei diesem Anblick beinahe bersten vor Lachen: Es könnte eine Szene aus Kraus’ Weltkriegsdrama »Die letzten Tage der Menschheit« sein und war doch nur die krude Wirklichkeit, welcher der Autor seine Szenen ablauschte. Wie gut, daß diese mißratene, hämisch über Prügelstrafen und abgezogene Katzenhäute gackernde Welt mit Pauken und Trompeten untergegangen ist. Als Versailler Diktator hätte ich die humorigen k. u. k. Leutnants und Oberleutnants dazu abkommandiert, mit ihren Schulterklappen in Paris die Bordelltoiletten zu reinigen.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg