Humorkritik | Oktober 2010

Oktober 2010

Die Komik auf dem Kieker

Wenn ernste Leute ernste Urteile über ernste Dinge abgeben sollen, mag das manchmal gutgehen. Das Unglück ist aber vorbestimmt, wenn sie sich mit Komik befassen. Hanns W. Eppelsheimer, erster und gewiß auch ernster Direktor der 1946 gegründeten Deutschen Nationalbibliothek zu Frankfurt am Main, befaßte sich in seiner 1971 erschienenen »Geschichte der europäischen Weltliteratur« mit dem Untertitel: »Besichtigung eines Erbes« unglücklicherweise auch mit Komik.

 

Zwar kommen da wenigstens der griechische Komödiendichter Menander und sein römischer Nachfolger Terenz, Petronius’ »Gastmahl des Trimalchio« und Horaz’ Satiren gut weg; wohlwollend beurteilt werden auch zwei deutsche Volksbücher, doch da wird’s schon merkwürdig: Ihre guten Zensuren kriegen der »Eulenspiegel« gerade »trotz seiner gelegentlich schon unflätigen Derbheit und seines blasphemischen Witzes noch auf dem Totenbett« und die Schiltbürger ausgerechnet »dank ihres gemütvollen Humors aus einem Narrennest«; das Schiltbürgerbuch muß Eppelsheimer als Hänschen gelesen haben, und Hans liest das Original dann offenbar nimmermehr.

 

Den Rest der Komikautoren aber hat Eppelsheimer durchweg auf dem Kieker. Die können machen, was sie wollen, recht machen können sie es ihm nicht. Martial war nur ein »eminentes Talent ohne jede Größe«, weil er »mit seinen scharf geschliffenen Epigrammen nur ungefährlichen Leuten an die Beine fuhr«. So einer war Aristophanes nicht, im Gegenteil machte dessen Witz vor niemandem halt – und Eppelsheimer schreibt ihm bekümmert ins Zeugnis: »Skrupellos bedient er sich der Freiheit der Komödie, die alles darf: sich vor keinem Schimpfwort und keiner Obszönität zu scheuen und ihre Angriffslust weder vor Göttern und Heroen noch vor irgendeinem verdienten Namen oder hohen Amt zu zügeln braucht« – weshalb Eppelsheimer sogar beklagt, daß Athens Politiker die künstlerische Freiheit, »diese gefährliche Waffe«, nicht einschränkten.

 

Unter dem despotischen Kaiser Domitian war sie aber eingeschränkt, weshalb Juvenal seine zunächst zurückgehaltenen Satiren erst unter Hadrians Regentschaft auf den Markt brachte – und da, so Eppelsheimer, waren sie »kalt und abgestanden«. Sollte man sich also doch von Anfang an harmlosere Angriffsziele wählen, wie, Eppelsheimer zufolge, Lukian es tat, »der einfallsreiche, ungemein witzige und flinke Gesell«? Mitnichten, war Lukian »doch zu leichtgewichtig, zu vorsichtig und zu bequem, als er den (längst beim Ballett gelandeten) griechischen Olymp parodierte und über dem nur Witzigen, das sich erfahrungsgemäß leicht verflüchtigt, die wirklichen Fragen und Themen der Zeit übersah.« Im Unterschied zu Aristophanes?

 

Wie man’s macht, ist’s falsch, und macht man’s falsch, ist’s auch nicht richtig. Laut Eppelsheimer trifft das fast alle Komikautoren; aber eigentlich trifft es ihn selbst, diesen voreingenommenen, witzlosen Gesellen.

  

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Briefe an die Leser

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

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Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann