Humorkritik | März 2010

März 2010

Schuhbidu

Als man im letzten Herbst in den USA die neuen Fernsehserien vorstellte, wurde »Modern Family« mit vielen Vorschußlorbeeren bedacht. Man pries die Serie als witzig, innovativ, und vor allem lobte man die als eher bräsig verschrieene ABC, daß sie sich an ein solches Projekt herangewagt hatte. Nun ist die Serie schon eine Weile auf dem Schirm, und die Lobeshymnen halten an. Nach dem, was ich von »Modern Family« zu Gesicht bekam, kann ich diese Elogen indes nicht begreifen. Dabei ist das Konzept recht solide, wenngleich einiges dafür spricht, daß »Modern Family« Arbeitstitel und Programm zugleich war und die Figurenkonstellation am Reißbrett entworfen wurde.

 

Im Mittelpunkt steht die typische weiße Musterfamilie der Pritchetts mit ihren drei Kindern (Häuschen im Vorort mit Garage inklusive), deren Erlebnisse kontrastiert werden mit denen eines schwulen Paares, welches ein asiatisches Waisenkind adoptiert hat, und denen eines alten Knackers, der eine heißblütige Latina geheiratet hat, die neben ihrem Temperament auch ihren adipösen Teenager-Sohn mit in die Ehe bringt. Der Kniff ist, daß die drei »modernen« Familien miteinander verbunden sind, denn der alte Knacker hat auch zwei Kinder: die Mutter der Musterfamilie und einen der beiden Schwulen.

 

Was die Konstellationen an Comedy-Potential bieten, wird getreulich und routiniert abgearbeitet, die Konflikte werden nett und familienfreundlich gelöst. Was unter anderem daran liegt, daß die Akteure zwar in einer unfertigen und zum Teil ungerechten Welt leben, abgesehen davon aber immer genug Geld im Haus ist, weshalb echte existentielle Probleme gar nicht erst aufkommen.

 

Es gibt einen starken Grund, der Serie auch hierzulande eine Chance zu geben. Der mit der heißblütigen Latina Gloria (Sofia Vergara) verheiratete alte Sack Jay Pritchett wird von niemand anderem als Ed O’Neill gespielt. In Deutschland dürfte er Millionen von Fernsehzuschauern als vom Schicksal gebeutelter Schuhverkäufer Al Bundy aus »Eine schrecklich nette Familie« bekannt sein. Deutlich in die Jahre gekommen, mit Plautze und am Hinterkopf durchscheinendem Knie, genießt er das späte Glück mit seiner Gloria. Auch wenn diese Beziehung die nächstliegenden Witzeleien provozieren könnte, die Ehe zwischen Gloria und Jay wird als wahre Liebe erzählt.

 

Der Biß der Serie ließe sich mit ein paar nächstliegenden Eingriffen mühelos verstärken, aber es stellt sich die Frage, ob »Modern Family« dann noch ein Format für einen Mainstream-Sender wäre. Denn bei aller Harmlosigkeit: Auf einem öffentlich-rechtlichen Sendeplatz in Deutschland würde dieses Konzept auch heute noch revolutionär wirken. Doch will ich nicht ausschließen, daß man hier bereits an einer Kopie werkelt, die dann in frühestens fünf Jahren auf den Schirm kommt und genauso fad sein könnte wie die meisten Kopien und Adaptionen von »Stromberg« bis »Pastewka«.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann