Humorkritik | April 2010

April 2010

Wahres Wunder

Wenn ein Film »Lourdes« heißt und auch mit kirchlicher Erlaubnis ebendort gedreht wurde, wenn es um Sieche und Kranke geht, die auf Wunderheilung hoffen und das Ergebnis selbst der katholischen Kirche gefällt, dann sollte man eigentlich davon ausgehen, daß das kein Film für mich ist und erst recht nichts in der Humorkritik zu suchen hat. Doch was die Wienerin Jessica Hausner, die vor einigen Jahren mit dem eher spröden Film »Hotel« reüssierte, da fertiggestellt hat, ist ein erfreulich schwer klassifizierbares Stückchen Film. Mit dokumentarfilmhafter Genauigkeit erzählt sie vom abergläubischen Kommerztreiben im französischen Wallfahrtsort und erlaubt sich dabei den charmanten Spaß, tatsächlich ein veritables Wunder geschehen zu lassen.

 

Ihre distanzierte Erzählweise läßt Platz für komische Kleinigkeiten, die so beiläufig daherkommen wie einst die visuellen Gags des Jacques Tati. Wenn die Heilsuchenden etwa aufgereiht an der Wand sitzen und immer wieder aufrücken müssen, bis sie endlich mit den rituellen Waschungen an der Reihe sind, wird mehrfach ausgerechnet eine Madonnenfigur zur gesprächsbehindernden Blockade. Wir lernen sehr verschiedene Figuren gut kennen, vor allem die junge gelähmte Christine, die eigentlich lieber »kulturelle Reisen« unternimmt (höchst überzeugend gespielt von Sylvie Testud), aber auch diverse Begleiter vom Malteser-Hilfsdienst und einen aufs schönste dahersalbadernden Pfaffen, der zufrieden vor sich hin grinst, wenn es ihm wieder einmal gelungen ist, eine konkrete Frage schwammig zu beantworten. Christines Betreuerin ist gleichfalls jung und hat vor allem Interesse an den mitreisenden männlichen Maltesern in ihren feschen Uniformen. Sie sagt, sie wäre auch gern in den Skiurlaub gefahren, aber das habe vergleichsweise so »wenig Sinn«.

 

Das Schönste und wirklich Besondere an »Lourdes« ist jedoch die merkwürdige Unsicherheit, die er beim Zuschauer auslöst: Jessica Hausner bietet ihm keine der üblichen Orientierungsmarken. Wie ist das alles zu deuten? Spätestens wenn die Wunderheilung eintritt, versagt jedes Erklärungsmuster, und die Grenzen der hyperrealistischen Erzählung sind gesprengt: Jetzt könnte buchstäblich alles passieren. War das etwa nur ein Traum der Geheilten? Oder ist die Wunderwirkung gleich wieder futsch? Hübsch anzuschauen ist die Verwirrung, die die Heilung vor allem beim religiösen Personal auslöst. Und daß Hausners atmosphärisches Werk auch den Segen der katholischen Kirche hat – das ist das Bonus-Wunder dieses Films.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner