Humorkritik | Januar 2009

Januar 2009

Umtauschempfehlungen

Das hätte man sich ja denken können: Das Buch, das uns Mutter geschenkt hat, haben wir letztes Jahr schon mal zu Weihnachten bekommen, die Mario-Barth-DVD, die sich Oma zum Verschenken hat aufschwatzen lassen, ist zum Glück noch originalverpackt, dito die schöne Gerhard-Polt-CD »Eine menschliche Sau« – die haben wir uns ja vorletztes Jahr schon gewünscht. Da hilft dann nur eines: Schnell umtauschen!

 

Und zwar, im Falle Polt, die alte Platte gegen die gerade erschienene CD-Neuheit »Apokalypsen« (Kein & Aber Records), auf welcher der abermals unvergleichlich Polternde sich uns in spätmeisterlich gebenedeiter Hochform präsentiert: sei’s als faselnder Tor, als nuschelnder Obskurant, als heulender Hohlkopf, als schreiender Kretin oder freilich auch als bellender, schimpfen- und belfernder Saubazi von Herrgottsacklzementzefixens Gnaden. Vor schwerstphilosophischen Hirnkastlverrenkungen hat Polt ja noch nie zurückgeschreckt – seinen Gedanken zur allgemeinen und speziellen Menschenmengenlehre indes konnte ich vor Lachen kaum folgen: »Keiner soll daherkommen und behaupten, daß man bei uns gezwungen ist, eine Minderheit zu sein. Jeder hat das Recht, sich einer Mehrheit anzuschließen. Was will denn eigentlich so eine Minderheit? Was wollen sie? Sind sie sich immer noch nicht wenig genug? Wollen sie noch weniger werden?«

 

Versehentlich geschenkehalber angefallenes DVD-Material bitte ich jedoch umgehend gegen die Lebenswerkschau der Hamburger Witzmachervereinigung »Studio Braun« einzutauschen. Auf der preislich recht günstig liegenden Kompilation »20 000 Jahre – Ein Jubiläum feiert Geburtstag« (Edel) breiten Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger, nach Eigenaussagen »die Gralshüter des deutschen Humormonopols«, die Früchte ihrer Bewegte-Bilder-Arbeit aus, u. a. verfilmte Telefonscherze, Fußgängerzonenmusik in schlechtsitzender Kleidung, übererotisierte Fitnesstudiowerbung, scheinphilosophische Kamingespräche und Mitschnitte von Bühnenaktivitäten, die sich eindeutig nur an hartgesottene Fans richten oder Leute, die solche Leute kennen. Bei 48 Tracks in neunzig Minuten bleibt zum Nachdenken sowieso keine Zeit, und ehe man wohlig verstört aus dem surrealen Pointenalptraum aufgewacht ist, ist er auch schon wieder vorbei.

 

Wer’s indes besinnlicher, gefühliger, familiärer und somit weihnachtlicher mag, mit anderen Worten: brutaler, schonungsloser und komischer, der schaffe sich umgehend die gerade erschienene DVD »Sieben Mulden und eine Leiche« des Schweizer Journalisten und Dokumentarfilmers Thomas Haemmerli an. Hier verfilmt Haemmerli seine eigene Geschichte: Wie er selbst an seinem vierzigsten Geburtstag vom Tod seiner Mutter erfährt, gemeinsam mit Bruder Erik deren versiegelte Wohnung eröffnet – und die beiden dann einen Monat lang in körperlicher und nicht zuletzt auch seelischer Schwerstarbeit die komplett bis oben hin zugemüllte Messiemutterbude freiräumen. Während sich sieben Mulden, vulgo Müllcontainer, Tag für Tag mit Hausrat und Erinnerungsschrott füllen, kämpfen sich die Haemmerlis durch ihre ebenso bizarre wie glamouröse Familiengeschichte. Wir sehen alte Dokumente und Klamotten, Fotos und Super-8-Filme, begegnen dem noch jungen Kofi Annan in seiner Rolle als »Nägr« und Haemmerlis Frau Mama als wild um sich prozessierender Furie mit Zigarettenspitze und Dior-Kostüm. Die dazu passende schöne Webseite heißt www.messiemother.com. Wie der Regisseur diese eigentlich schreckliche und auch erschütternde Familiengeschichte zu einem exquisiten Stück komischer Dokumentarfilmkunst veredelt, sollte man sich unbedingt selbst anschauen. Die alte Mär, daß Grauen und Komik zwei Seiten des gleichen Kanaldeckels sind, wurde noch nie so eindrucksvoll und doch auch cool bestätigt. Es ist wirklich nicht jedermanns Sache, dabei zuzuschauen, wie ein Rentokil-Mann die Überreste einer Mutter vom Küchenboden kratzt, doch am Ende dieses komplex-komischen Familiendramas hat er sich einfach ganz schrecklich amüsiert – Ihr Hans Mentz.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg