Humorkritik | September 2008

September 2008

Lacher gegen die Ordnung

Grundsätzlich freut es mich natürlich, wenn – wie in letzter Zeit geschehen – die Feuilletons »seriöser« Großzeitungen humorkritische Themen entdecken und behandeln, von der Frage, ob Frauen einen anderen Sinn für Humor haben als Männer, bis zum immergrünen Thema, ob wir Deutschen über ­Humor verfügen und wie sich der von jenem der Engländer unterscheidet.

 

Dabei ist zumindest die letzte Frage längst beantwortet. Im Gegensatz etwa zum Autoren­team der Zeit (siehe TITANIC 2/2008) mit dem nötigen Fachwissen ausstaffiert, hat das Hans-Dieter Gelfert erledigt, auf dessen Buch »Madam I’m Adam. Eine Kulturgeschichte des englischen Humors« (C.&H. Beck) ich ­deshalb all jene verweise, die noch unter ­Klärungsbedarf leiden.

 

Gelfert, der aus Erfahrung weiß, daß Engländer »ein geradezu zwanghaftes Bedürfnis haben, alles, und sei es noch so ernst, mit ­einem ironischen, spöttischen oder auch nur albernen Kommentar von sich abzudrücken«, schält als »typische Merkmale« des englischen Humors Attribute wie Respektlosigkeit, Understatement, Selbstironie, Grausamkeit, Kälte, Exzentrik, Nonsens u.a.m. heraus, belegt sie schlüssig an zahlreichen Phänomenen und Beispielen und kommt zu dem Fazit, der englische Humor sei »eine Folge der frühen sozialgeschichtlichen Hori­zon­talisierung« der englischen Gesellschaft: ein »Ausdruck jener Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten, die in England schon mit der Magna Charta anfängt, mit dem Aufstieg des Landadels und des Bürgertums weiter ­zunimmt und spätestens nach der Glorreichen Revolution zu einer nationalen Grundhaltung wird«.

 

Während den deutschen Humor der »Staat, der philosophische Totalitätsbegriff und das ästhetische Ideal des Erhabenen« prägte und auf lange Zeit versaute: »Das bedeutet, daß der deutsche Lacher auf der Seite der Ordnung lacht, d.h. von oben nach unten. Der englische Lacher hingegen lacht auf der Seite des Störers gegen die Ordnung«.

 

Anlaß zur Kritik gibt es dennoch: Wie ­immer wird’s fraglich, wenn wir uns der ­Gegenwart nähern. So unterläßt es auch ­Gelfert, die Veränderungen des deutschen ­Humors zur Kenntnis zu nehmen, indem er ihn auf Otto Waalkes, Didi Hallervorden, Helge Schneider, Harald Schmidt und Loriot reduziert und, wie es üblich zu sein scheint, den Einfluß der meinen Lesern als bekannt vorauszusetzenden Neuen Frankfurter Schule für Hochkomik unterschlägt.

 

Dennoch sollte nunmehr alles mehr oder weniger ein für allemal geklärt sein. Und die Forschung ist aufgerufen, endlich den Humor anderer Nationen unter die Lupe zu nehmen. Was den griechischen, französischen, finnischen, niederländischen, lettischen usw. ­Humor auszeichnet, würde ich gerne mal in einer Kulturgeschichte des europäischen ­Humors lesen. Bevor es dann weitergeht mit einem Überblick auf Übersee. Es gibt noch viel zu tun!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann