Humorkritik | September 2008

September 2008

Incroyable

Frankreich hat gut 60 Millionen Einwohner, der Film »Bienvenue Chez les Ch’tis« bisher gut 20 Millionen Zuschauer. Auf die gut 80 Millionen Einwohner Deutschlands hochgerechnet ergäben sich 27 Millionen. Der ­erfolgreichste deutsche Film seit 1970, »Otto – der Film«, hatte 1985 knapp 15 Millionen Zuschauer. Ein Ergebnis, das also wirklich unglaublich ist; und da der Film zumindest in Urlaubsorten nach mehr als vier Monaten immer noch gezeigt wird, habe ich mir ein Bild von den Ursachen gemacht.

 

Die Geschichte klingt bescheiden: Ein südfranzösischer Postbeamter wird zu ­seinem und seiner Familie Entsetzen in den äußersten Nordosten der Republik versetzt, in das Département Nord Pas de Calais, hart an der Grenze zum verachteten Belgien. Der Film bezieht nun seine Komik daraus, ­beiden Seiten profunde Unkenntnis, massive Vor­urteile und soziokulturelle Differenzen zu unterstellen, wie sie allenfalls zwischen ­Sizilien und Sibirien herrschen mögen.

 

Am komischsten ist naturgemäß der erste Akt, der ungetrübt von nordfranzösischer Realität in südfranzösischen Ressentiments schwelgen darf. Da der Film diese natürlich nicht einlösen kann, entledigt er sich rasch dieser Hypothek und verlagert das Interesse auf private Probleme des provenzalischen Postlers und eines flandrischen Briefträgers. Parallel zur Lösung ihrer Liebes- und Eheschwierigkeiten entwickelt sich die übliche Männerfreundschaft, die das ansonsten etwas operettenhafte Finale erträglich macht.

 

Immerhin läßt sich der Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Dany Boon die Gelegenheit nicht entgehen, der Gattin seines Chefs ein Nordfrankreich vorzuspielen, das ihre schlimmsten Erwartungen noch übertrifft: Männer, die auf Katzen schießen, die danach mit Bier begossen, gegrillt und unter wilden Schlachtgesängen verzehrt werden. Ein ebenso naheliegendes wie wirksames Mittel, gegen Ende auf die verheißungs­vollen Auftaktprophezeiungen zurückzukommen.

 

Ich bin stets vorsichtig bei der Beurteilung fremdsprachlicher Produkte, da sie uns, verführt von der Freude über das eigene Verständnis, meist zur Überschätzung verleiten. Doch ich möchte nicht verhehlen, daß ich mich gut unterhalten fühlte.

 

Fraglich bleibt, ob eine deutsche Synchronisation, angesichts der hier aufgebauten Sprachbarriere, deren tatsächliches Ausmaß wohl nur Franzosen beurteilen können, annähernd ähnliche Wirkungen erzielen wird. Wie ein deutsches Remake, das uns vom ­Bodensee nach Vorpommern führen dürfte, funktionieren könnte, darüber sollen andere nachdenken. Ich weiß es bereits.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg