Humorkritik | September 2008
September 2008
Masse und Barth
Größtenteils ratlos verfolgt die deutsche Presse »das Phänomen Mario Barth«. Wie schafft es ausgerechnet dieser Komiker, den das Feuilleton so verachtet, das Berliner Olympiastadion mit 70 000 Zuschauern auszuverkaufen? Die Frage wird gestellt und nicht beantwortet. Dabei ist das so schwierig nicht.
Ich will es mit einem Gleichnis versuchen: Von Mark Twain wird erzählt, daß der berühmte Autor in eine kleine Stadt kam, um dort geehrt zu werden. Twain erkundigte sich zur Vorbereitung seiner Dankesrede vor Ort nach einer möglichst der ganzen Stadt bekannten Anekdote. Genau diese erzählte er nun am Abend seinen Zuhörern, die zunächst recht betreten auf diese Zumutung reagierten. Als Twain darauf dieselbe Anekdote ein zweites Mal vortrug, gab es schon erste, wenn auch unterdrückte Heiterkeitsbekundungen. Beim dritten Versuch Twains bog sich der ganze Saal vor Lachen.
Ähnlich verfährt Mario Barth; mit dem kleinen Unterschied, daß er die Stellen, die ihm als Pointen geeignet erscheinen, in anschwellender Lautstärke so oft wiederholt, bis der erwünschte Lacherfolg eintritt – unabhängig von der Qualität oder Originalität des Gebotenen. Agitatoren jeglicher Couleur verfahren seit Jahrhunderten nach dieser Methode, deren Erfolg vom Vertrauen des Publikums abhängt, das ein geheimes Einverständnis und die offene Bereitschaft, dem Vortragenden zu folgen, mitzubringen hat. In der Praxis bedeutet das: Ein Publikum, das eigens gekommen ist, um Mario Barth zuzuhören, wird ihn auch erhören.
Denn darum geht es: Barths Vortrag ist eigentlich ein Antrag, so inbrünstig fleht seine Vortragsweise, angenommen zu werden. Womit wir beim religiösen Kern des »Phänomens« gelandet wären: Indem sie an ihn glaubt, erlöst die Gemeinde ihren Gott (nicht umgekehrt!) – oder sagen wir im Falle Mario Barths, der seine Karriere als Animateur begonnen hat: seinen Halbgott.
Grölgötze klänge mir zu abschätzig.