Humorkritik | Dezember 2008

Dezember 2008

Wunderbarer Zeigler

Fußball und Komik – ein meist betrübliches Thema. Denn Fußball ist, um den Fußballtrainer Hans Meyer zu zitieren, in schöner Regelmäßigkeit immer das gleiche; folglich sind auch den Witzen über Fußball zwangsläufig recht enge Grenzen gesetzt. Dennoch verfolge ich das Treiben von Arnd Zeigler mit anhaltender Sympathie, auch wenn er (sieht man von seiner Moderation einer Popmusiksendung für Radio Bremen ab) seit Jahr und Tag kein anderes Thema kennt als Fußball, Fußball und nochmals Fußball.

Was Zeigler als Stadionsprecher von Werder Bremen, als Urheber und Sänger sehr erfolgreicher Fansongs für Werder Bremen und als Autor mehrerer Bücher über Werder Bremen tut, ist wohl eher für Fan- und Fachkreise von Interesse. Nicht so das Resultat der anderen Hälfte seiner erstaunlichen Schaffenskraft, das Multimedia-Konglomerat »Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs«. Unter diesem Etikett firmieren eine wöchentliche Fernsehsendung für den WDR, eine regelmäßige, bundesweit ausgestrahlte Radiokolumne, drei Bücher, einige CDs, über 110 Folgen einer Printkolumne u.a. für das Fußballmagazin 11 Freunde, mehrere Jahrgänge eines Abreißkalenders und diverse Websites.

Arnd Zeigler kennt, weiß und verfolgt ­alles, das Geschehen in den Profiligen ­sowieso, aber das ist vergleichsweise uninteressant, da ohnehin allgegenwärtig, und wenn er in seiner Fernsehsendung mit ­Anrufern über den letzten Bundesligaspieltag diskutiert, dann gilt es, Geduld zu üben. Lieber lasse ich mich von ihm über Vereine und Spieler unterrichten, von denen die Sportschau schweigt: den ehemaligen pfälzische Regionalligisten ASV Gummi Mayer Landau, den japanischen Erstligaclub Kawasaki Frontale und den ehemaligen südafrikanischen Nationalspieler August Makalakalane (»der einzige Spielername, den man alkoholisiert besser aussprechen kann als nüchtern«).

Trotz aller Affinität und Detailkenntnis wahrt er zu seinem Gegenstand jene Halb­distanz, die Komik erst ermöglicht. Er stellt bildende Betrachtungen an über »Katastrophen aus Plüsch« (d.h. Vereinsmaskottchen), die »15 verdammt noch mal häßlichsten Fußballtrikots aller Zeiten« oder »besonders übel mißlungene Fußballerporträts auf exotischen Briefmarken«. Im letztgenannten Aufsatz etwa zeigt er mit Hilfe von Bildbeweisen, daß Johan Cruyff auf einer Marke aus Obervolta »das Antlitz einer schwer vom Leben gezeichneten Tresenschlampe« trägt, während Pelé auf einer jemenitischen Marke »wie ein Schurke aus einem Blaxploitation-Movie ­anmutet« und Uli Hoeneß auf der ihm ge­widmeten 2-Ekulele-Marke aus Äquatorialguinea wie »ein zerfurchtes, hohlwangiges, ­katastrophal frisiertes Etwas, das entfernt an einen inzwischen verstorbenen Erotikfilm-Darsteller gemahnt«.

Das ist scharf beobachtet und treffend formuliert, aber fast noch besser gefällt es mir, wenn Zeigler die Früchte seiner exzellenten Archiv- und Recherchearbeit gänzlich unkommentiert herzeigt, so daß sie ihren oftmals eigenartig funzeligen Glanz aus eigener Kraft entfalten können. Tausendschön sind die Dokumente des DDR-Sportfernsehens, die er ausschnittsweise in seiner Fernsehsendung präsentiert.

In einem Punkt allerdings muß ich Zeigler korrigieren: Gerd Müllers komplette Diskographie besteht durchaus nicht nur aus den vier Werken »Raba da da«, »Dann macht es bumm«, »Das gibt ein Schützenfest« und »Wenn das runde Leder rollt«. Zeigler verschweigt die nicht ganz so bahnbrechenden B-Seiten-Songs »Nur jetzt nicht weinen« (1967) und »Bleib am Ball« (1968). Wie auch immer: Solche niedrigstkulturellen Randerscheinungen des Fußballs sind genau die Sorte Mist, die Zeigler in seinen besten Momenten durch bloße Wiedergabe in reines Gold verwandelt. Eine alchemistische Großleistung, die ich mit anhaltender Sympathie?... aber das sagte ich bereits.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster