Humorkritik | Dezember 2007
Dezember 2007
Der Fall des R. Schawinski
Wider Erwarten habe ich »Die TV-Falle« (Kein & Aber), das Aufarbeitungsbuch des ehemaligen Sat.1-Chefs Roger Schawinski, mit Gewinn gelesen. Zu seinen Dienstzeiten brachte es der Schweizer zum Lieblingsopfer von Harald Schmidt und immerhin zum Meuchler der Nachfolgesendung um Anke Engelke. Die nun ausgeplauderten Interna über Sat.1-Protagonisten sind erwartungsgemäß uninteressant; erhellend fand ich indes, daß Schawinski, der verbissen mit seinem Bemühen kokettiert, Qualität unters Volk zu bringen, niemals erklärt, was Qualität eigentlich sei. Grundsätzlich gilt wohl: Wenn ein Stoff aus dem angelsächsischen Raum kommt, ist er gut, wenn er von einem amerikanischen Sender präsentiert wird, um so besser – aber dann beginnt das große Zaudern und Zagen: Kann man das dem Zuschauer zumuten?
Die übliche Lösung des Quoten-Junkies war, die Marktforschung zu befragen und – wenn sich alsbald nichts besserte – den Stecker zu ziehen. Und anstatt die Lemminge bloß über die Klippe zu schicken, sprang er ihnen schließlich hinterher.
Micheál Jacob, der bei der BBC für Comedyentwicklung verantwortlich ist (soviel Namedropping muß in einer Rezension über ein Buch, das zu ca. 70 Prozent aus Namedropping besteht, erlaubt sein), steckte mir einmal, er halte nichts davon, Comedyformate eins zu eins in ein anderes Land zu verpflanzen. Wie um diese These zu illustrieren, übertrug Sat.1 eine englische Serie unter dem Titel »Bis in die Spitzen« nahezu wortgetreu ins Deutsche und scheiterte. Und wenn einmal – wie mit dem Thriller »Blackout« (sic!) – ein Eigengewächs gelang, fehlte die Phantasie, das Produkt angemessen zu vermarkten.
Nur zur Erinnerung: Als Ende der Achtzigerjahre der »Seinfeld«-Pilot in Amerika über den Sender ging, waren die Quoten katastrophal. Die Marktforschung bescheinigte der Serie, zu sehr auf New York fixiert zu sein. Die Geschichten hätten keine Chance, im Rest der USA, geschweige der Welt, verstanden zu werden. Doch NBC-Boß Brandon Tartikoff dachte nicht an Absetzung. Er verordnete dem Helden Seinfeld seine Freundin Elaine und sorgte dafür, daß Jerry Seinfeld und Larry David genug Zeit bekamen, ihr Talent an das für sie damals noch ungewohnte Medium TV anzupassen. Das Ergebnis war die erfolgreichste Sitcom des 20. Jahrhunderts.
Roger Schawinski erzählt dagegen voller Stolz, wie er einmal persönlich ins Kopierwerk fuhr, um eine Szene aufhellen zu lassen. Und rechnet es sich hoch an, daß er seinem Telenovela-Star eine Zahnspange genehmigte. Mehr muß man eigentlich nicht wissen, um die Misere deutscher TV-Unterhaltung zu begreifen.