Humorkritik | Dezember 2006

Dezember 2006

»Schamlos dilettierend«

Die Frage, ob man über Hitler lachen und lachen machen darf, ist mittlerweile eine gänzlich rhetorische und überflüssige. Genauso überflüssig wie die, ob und wie »unter Hitler« gelacht wurde. Flüsterwitz, jüdischer Witz – das alles ist hinlänglich gesammelt und untersucht worden. Dennoch habe ich mich in meiner Humorkritikerfunktion eines Buches von Rudolph Herzog anzunehmen, das recht sperrig »Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler – Komik und Humor im Dritten Reich« (Eichborn Berlin) heißt, und welches, um mein Urteil vorwegzunehmen, kaum mit neuen Aspekten aufzuwarten weiß – abgesehen vielleicht von der Widerlegung der These, das Erzählen gewagter Witze sei ein Akt des Widerstands gewesen. Vielmehr belegt Herzog, daß Anti-Nazi-Scherze oft lediglich eine Ventilfunktion hatten und im übrigen auch nicht unbedingt drakonisch verfolgt, sondern vom System in einem gewissen Rahmen toleriert wurden.

Soweit, so halbwegs in Ordnung. Kaum in Ordnung ist hingegen, wie Herzog mit seinem Stoff umspringt, was sich womöglich aus des Urhebers Profession als Regisseur und Drehbuchautor erklärt, denn ein präziser Umgang mit dem Handwerkszeug Sprache ist seine Sache nicht: Die seine ist nicht nur holprig und unelegant, sondern auch fehlerhaft und den scharfen Blicken eines Lektors ungeschoren entwischt.

Daß bei Herzog das Hermannsdenkmal zum »Herrmannsdenkmal« und Ossietzky zu »Ossietzki« wird – geschenkt. Unerträglich jedoch ist die Ballung an Stilblüten: Da ist die Rede von »Dingen, die dem Volk auf den Nägeln brannten«, von »Schattenseiten« der »Hitlerjahre«, und es werden erstaunliche Dinge festgestellt: »Mit den Schlägertrupps war nicht zu spaßen, und ihre Anführer hatten Mord im Sinn« – schau mal einer an. Da treffen wir auf »schamlos dilettierende Lustspiel-Regisseure« und grundsätzlich »unselige« NS-Funktionäre, die »teuflische Pläne« umsetzen, etwa »unappetitliche Schauprozesse«, »verwerfliche Angriffskriege« und »ungestüme Expansion, die aber im Laufe der Monate verharschte«, bis sich »Deutschland endgültig überstreckt« hatte.

Diese Unbeholfenheit ist fatal, weil hinter der Ungenauigkeit des Ausdrucks stets die der Gedanken steht, sowohl die Historie als auch den Humor betreffend. Daß es zum Beispiel zwischen Ironie, Sarkasmus und ähnlichen Phänomenen kleine aber feine Unterschiede gibt, ist Herzog, dem alles sarkastisch ist, ebenso entgangen wie der Umstand, daß im III. Reich freilich kein »Comedy-Bereich« existierte – und daß jüdische Witze nicht erst als Reaktion auf den Holocaust entstanden, sondern eine lange Tradition haben.

Nachgerade geschichtsklitterig wird’s aber, wenn Herzog am Beispiel eines jüdischen Witzes lobt: »Gerade das Weltfremd-Pazifistische macht das eigene (jüdische, H.M.) Volk so liebenswert angesichts einer sich in immer blutrünstigeren Verbrechen ergehenden Umwelt.« Die liebenswert-weltfremd-pazifistisch witzelnden jüdischen Opfer und dazu eine Umwelt, die »in einen Strudel des Verbrechens hinabgezogen wurde« – ja, so hätten wir das gern, aber so, mit Verlaub, geht es nun ganz und gar nicht!

Auch Herzogs Abriß über den National-sozialismus als Thema der Nachkriegs-komik ist arg lückenhaft, da Herzog sich auf Mel Brooks, Roberto Benignis »Das Leben ist schön« und Walter Moers beschränkt. Hat es nicht vor, nach und neben diesen zahllose Komiker, Satiriker etc. gegeben, die sich über Herzogs »Hitlerjahre« lustig gemacht haben? Darf ich bescheiden auf entsprechende Beiträge der Neuen Frankfurter Schule verweisen, wenn nicht gar auf des Kollegen Gresers Serie »Der Führer privat«, die in ebenjener Zeitschrift erschien, die Sie grad in Händen halten? Und in welcher ich wieder mühsam zurechtzurücken habe, was Leute wie Herzog verbocken?

Glaube niemand, das sei ein Vergnügen.

 

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella