Humorkritik | Dezember 2006

Dezember 2006

Räuber Armbrus

»Er hat keinerlei Gewalt angewandt, er hat niemanden in irgendwelche Toiletten gestoßen. Ich bin selbst reingegangen«, führt eine attraktive Chefkassiererin aus. Eine weitere Angestellte kontert die Vorhaltungen des Staatsanwaltes: »Aber er ist Ihnen auf die Schulter getreten« mit der Gegenthese: »Das muß aus Versehen passiert sein.« So lesen sich nur zwei Beispiele weiblichen Erfindungsreichtums, wenn es darum geht, Ungarns beliebtesten Bankräuber aller Zeiten vor juristischen Nachstellungen zu beschützen.

Attila Armbrus, geboren 1967, schafft es als gebürtiger Siebenbürger innerhalb weniger Jahre zum allseits verlachten Aushilfstorwart beim Eishockeyclub UTE des ungarischen Innenministeriums (sehr schön auf ungarisch: Belügyminisztérium). Aber irgendwann merkt er eben doch, daß die Waren- und Geldströme im Land dringend neu geordnet werden müßten, zumal Ungarn dreißig Prozent seines Bruttoinlandsprodukts auf dem Schwarzmarkt umsetzt. Augenblicklich kundschaftet er genauestens sämtliche Bank- und Postfilialen sowie Reisebüros Budapests aus, sortiert seine Erhebungen nach Anzahl der Beschäftigten, Güte der Sicherheitseinrichtungen, Entfernung zur nächsten Polizeiwache, geeigneten (Taxi-)Anfahrts- beziehungsweise Fluchtwegen etc. und erwirbt eine Räuber-Hotzenplotz-Verkleidung.

Die nächsten sieben Jahre erbeutet er bei insgesamt neunundzwanzig Überfällen je nach Glück und Laune jeweils zwischen 890 und 200000 Euro. Mit einer Spielzeug-----pi-stole fuchtelnd, macht er die weiblichen Bankangestellten mit ausgesuchter Höflichkeit darauf aufmerksam, daß es sich lediglich um einen Überfall handele. Zur Entschädigung für den Ärger habe er jedoch Rosensträuße und Handküsse im Angebot. Die öffentliche Meinung feiert ihn bald als Helden in der Tradition des ungarischen Freiheitskampfes; Rapper widmen ihm Songs, Mädchen geraten coram publico in Verzückungen, und »Kriminális«, die ungarische Ausgabe von »Aktenzeichen XY ungelöst«, fordert ihn freundlichst auf, »Ihre Überfälle doch bitte auf den Montag oder Dienstag zu verlegen, wenn Sie wollen, daß wir noch in derselben Woche darüber berichten«. Niemand vermutet, daß ausgerechnet ein lausiger Aushilfstorwart des erfolglose-sten Eishockeyclubs der Held dieser Abenteuer ist.

Die Polizei konsultiert in ihrer Ratlosigkeit sogar den angesehensten Hellseher des Landes. Kein Wunder in einem Land, dessen Bewohner einander so einschätzen: »Er lügt, sobald er den Mund aufmacht. Man kann ihm nicht einmal glauben, wenn er eine Frage stellt.« Schließlich macht auch der sympathischste Verbrecher Fehler. Sie fassen ihn und verknacken ihn zu stolzen siebzehn Jahren, die er noch bis 2016 absitzen muß.

Ich würde behaupten, dieses von dem amerikanischen Journalisten Julian Rubinstein bravourös verfaßte Doku-Schelmenstück (»Die Ballade vom Whiskeyräuber. Eine wahre Geschichte über Eishockey, transsilvanischen Pelzschmuggel, Banküberfälle und gebrochene Herzen«, Rogner&Bernhard bei Zweitausendeins) ist das lustigste Buch über ungarische Bankräuber, das ich je gelesen habe. Wo nicht sogar das erste; aber trotzdem!

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann