Humorkritik | Dezember 2006

Dezember 2006

Wilhelm-Busch-
Förderpreise

Vor wenigen Wochen erst mußte ich meines Amtes wegen auf den Zustand der Lyrik im Internet (TITANIC 07/06) und in der Robert-Gernhardt-Nachberichterstattung (08/06) schimpfen; jetzt erreichte mich die Kunde, daß der geschätzte Verstorbene kurz vor seinem Tod noch den »Wilhelm-Busch-Preis für humoristische und satirische Versdichtung« entgegennehmen durfte – was schön und rechtens ist. Schön ist auch, daß neben dem Hauptpreis seit diesem Jahr auch Wilhelm-Busch-Förderpreise verliehen werden, die »für unbekannte Autoren gedacht« sind und vom Zischlaut-Trio »Schaumburger Landschaft, Sparkasse Schaumburg und Schaumburger Nachrichten« bezahlt werden. In diesem Jahr wurden – streng altersparitätisch – der 32-jährige Dirk Nachtigall und der 80jährige Student (!) Helmut Opitz ausgezeichnet. Nachtigalls Gedichttitel »Die Tüpfelhyäne« und »Halali« überraschten mich gelinde, hatte ich doch gedacht, das Tier sei im komischen Gedicht aufgrund unzähliger Möpse, Wiesel und Tabaksdosen inzwischen aus der Made, pardon: Mode gekommen.

Vielleicht hatte der Sänger Nachtigall aber auch einen neuen Kniff gefunden? Leider nicht: »Im dürren Gras lacht die Hyäne./Sie kann nichts für, es woll’n die Gene,/daß ihr das Zwerchfell mächtig zittert,/sobald sie Frischkadaver wittert«, hebt das Opus an. Ich kann nichts für, aber mein Stilempfinden sagt mir, daß 1. Grammatik kaputt und 2. »Hyäne« und »Gene« gerade mal unrein reimen; im zweiten Vers! Was formale Innovationen angeht, ist der vierhebige Jambus mit Paarreim, den Dichter Dirk sich auferlegt hatte, sicher die langweiligste (weil einfach-ste) Versform, die das komische Gedicht kennt; aber auch die muß man erst mal einhalten: »Drum’rum ein Stück Giraffen-haut,/schon war das Tier zusammengebaut« kantappert es weiter unten im Versgeflicke. Holterdipolter geht es auch im zweiten Poem, dem »Halali« zu: Über 60 Zeilen werden da Partnerwahl-Jagd-Vergleiche serviert, die dem top-aktuellen Fabeldichter Äsop (600 v. Chr.) mit ihrem Zweisprung Tier-Mensch sicherlich gefallen hätten. Gleiche Versform, gleiche Schnitzer: Gewagt verleimt (»Der erste Hirsch betritt die Bühne./Es ist kein Zwerg, doch auch kein Hüne«) und rhythmisch unsicher (»Der nächste Hirsch, dasselbe Weibchen,/Er durchtrainiert, im Leibchen«). Und weil’s am Schluß mit den Hirschen nicht so richtig klappt, ist nächstes Mal, genau, »Hasenjagd« angesagt.

Mir blieb nur, auf den zweiten Preisträger, den poeta senex Opitz zu hoffen. Doch auch hier: Schwächen wo nicht im Handwerk, so doch im Humor: »Am Friedhofsausgang sitzt ein schräger/betagter Wit-wen-ab-fang-jä-ger.-/ Doch manche hat’s mit letzter Kraft/gerade noch vorbeigeschafft« lautet einer seiner »ausgezeichneten« Vierzeiler. Hatte denn Opitz’ einschlägig bekannter Namensvetter aus der lyrischen Kaderschmiede gar nichts für ihn tun können?

Daß die Jury des Wilhelm-Busch-Preises sowohl ihren Namenspatron als auch ihren diesjährigen Hauptpreisträger mit ihrer Wahl posthum so beschämen muß, werden die beiden erwähnten Herren – dessen bin ich sicher – mit der Gelassenheit der Seligen ertragen.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella