Inhalt der Printausgabe

Mai 2006


Humorkritik
(Seite 8 von 8)

Exot
Die agile Szene um Lesebühnen und Slam Poetry hat vergangenen Herbst eine »Zeitschrift für komische Literatur« entbunden: Sie hört auf den Namen Exot, da der Mensch – so wollen es die Herausgeber – ein solcher sei. Einleuchtender ist da schon die Stoßrichtung des Unternehmens: Weil genug Publikationen den »ehrenwerten Pfad der Satire« beschreiten und die Bühne »nur den schnellen Witz« fordert, versprechen Macher und Autoren die »Verbindung von Bühnenkomik und Literatur«; was allerdings auch zur Folge hat, daß das Heft mit seinen achtzig Seiten bislang nur über ausgewählte Vorlese-foren der Republik vertrieben wird.
Den Schwerpunkt der ersten (und bisher einzigen) Ausgabe bildet erwartungsgemäß die komische Kurzprosa, ist sie Länge und Handlungsbogen betreffend doch am geeignetsten zur Deklamation. Aus diesem Segment möchte ich Micha Ebeling vom Berliner »Liebe statt Drogen«-Ensemble lobend herausgreifen, der an Ausdrucksfülle und Klang möglicherweise einem H.C. Artmann Konkurrenz machen könnte: »Es war Sabbat und Markttag, und ich jagte auf Horst, meiner teuren Draisine, durch die Gäßchen und Stiegen, die den Kundigen unverzüglich durch die Quartiere der Architekten, Aasgeier, Arschgeigen und Luftmenschen zum Platz der Käthe Kollwitz zu geleiten wissen. Als ich eintraf, hatte sich schon viel Volks versammelt. Und allen baumelte ein Henkelkörbchen aus Weidengeflecht an der tintenstichverzierten Elle, und man flanierte, daß es eine Art hatte. Schier endlos reihten sich die Stände der Hökerinnen, Maronibrater, Würstlräucherer, Metzger, Käser und Pesto-Pürierer unter dem Prenzlauer Azur des Berges.«
Der Zeilenumbruch im Gedicht schert sich naturgemäß wenig um akustische Repräsentation, deswegen freute mich besonders die komische Lyrik einiger noch recht unbekannter Nachwuchskräfte. Der (gerade 20jährige) Lars Weisbrod zeigt in seinem »Liebesgedicht«, daß sich auch der freie Vers komisch gebrauchen läßt: »Laß uns hinfahren zum Schwäbischen Meer, / Zum Bodensee. / Denn, meine Liebste, wenn es eines gibt, / An dem es uns mangelt, / Eines, das unsere Beziehung braucht, / So ist es doch Konstanz.« Das läßt hoffen.
Ein Tropfen Wermut sei gestattet: Am best-en gefallen hat mir dann doch der (nur übersetzte) Gastauftritt des Amerikaners Tim Carvell. In seinem »kurzen Essay, der die Welt erobert« beendet ein Schriftsteller einen ebensolchen; das gepriesene Schriftstück wird von Hand zu Hand gespielt und sorgt schließlich dafür, daß »die Menschen auf der ganzen Welt auf die Straße gingen und den Essay laut lasen, unisono. Und die Himmel rissen auf, und die Sonne schien auf die ganze Welt zugleich, und allen Tieren wurde die Gabe der Rede geschenkt, und alle Menschen lernten fliegen, und die Einhörner kehrten zurück. Der Schriftsteller betrachtete das alles und lächelte. ›Das‹, dachte er bei sich, ›ist kein schlechter Anfang.‹«
Daß man mit solcher Verheißung ein Herz der schreibenden Zunft erobert, sei mir bitte nicht nur als altersbedingte Milde der Jugend gegenüber angelastet.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster