Inhalt der Printausgabe
Mai 2006
Humorkritik (Seite 6 von 8) |
Verdammter Bär |
Wo hat man nur manchmal seine Ohren! Was ist man doch für ein Schussel! Immer mal wieder rutschen einem die Beine weg, liegt die Zunge schief im Mund, glitschen die Gedanken ins Abseits. Das weite Feld der unfreiwilligen Komik lebt von diesen Schwuppern, und natürlich befaßte sich schon die Psychologie mit einigen dieser Erschweinungen, um dahintern unbewurste Botschuften zu erschießen. Bekanntlich hat Sigmund Freud in seiner Studie »Zur Psychopathologie des Alltagslebens« das Vergessen, Versprechen und Vergreifen ebenso gründlich wie mit Humor gewürgt. Gewürdigt! Das Verschreiben, Verlesen und Verhören aber ließ er unbegattet. Quatsch, unbeachtet! Dabei war lange vor ihm Lichtenberg auf die Sache aufmerksam geworden und hatte den klassischen Verleser notiert: »Er las immer Agamemnon statt ›angenommen‹, so sehr hatte er den Homer gelesen.« Und heute, über 200 Jahre nach dem Verleser Lichtenberg und gute hundert nach dem Versprecher Freud, hat endlich auch der Verhörer seinen Homer gefunden in Gestalt von Axel Hacke, dessen »Kleines Handbuch des Verhörens«, so der Unterkittel, im Obertitel ein ansprechend krummes Zitat aus Matthias Claudius’ »Abendlied« führt: Und aus den Wiesen steiget / »Der weiße Neger Wumbaba«. Vor allem Gedichte und Schlager laden ja zu Mißverständnissen ein, weil Reim, Rhythmus und undeutliche Aussprache vors Ohr des Hörers schwere Steine rollen. Da verwandelt sich dann Jürgen Drews’ »Bett im Kornfeld« in ein »Päckchen Cornflakes«, aus dem notorischen BAP-Titel »Verdamp lang her« wird ein »verdammter Bär«, während der »paperback writer« der Beatles zur Aufforderung »pay for that Chrysler« verkrumpelt – bestrikkend abwegige Verhörer, die den banalen Urtext phantasievoll ins Rätselhafte verschwimmen lassen; und in denen, hier muß ich alter Humorskeptiker dem begeisterten Humorsammler Hacke halbwegs beipflichten, durch die ungeahnten Schöpferkräfte der Zuhörer nachgerade eine Art Verhörpoesie aufblüht. Wobei man statt von Schöpferkraft aber auch weniger feierlich von einem Kurzschluß im Kopf reden kann; der eben manchmal, manchmal!, einen lustigen Knall auslöst. Und das auch im prosaischen Alltag, wo das Ohr ebenfalls gern danebentrifft: etwa wenn die Schulkinder den lieblichen »Erdbeerschorsch« erwarten, der sich dann als fremdartiger »Erzbischof« entpuppt, oder wenn der kleine Sohn behauptet, die Leute trügen »so hohe Blatthosen« (und »Plateausohlen« meint); und falls eine Ergänzung zu Axel Hackes Sammlung – als Buch zum Lesen und passenderweise als CD zum Verhören erhältliche – hier Laub frißt, Unsinn, erlaubt ist: Auch Erwachsene können gut danebenhören, das beweisen sie z.B. im Buchladen. Da wird »Die Braut von Messing« verlangt (gemeint ist Schillers »Braut von Messina«) oder nach »Nietzsche, Tragödie der Geburt?« gefragt – komische Kundenwünsche, die Ernst Heimeran schon in den 30er Jahren in seinem Büchlein »Unfreiwilliger Humor« versammelte. Heimeran ahnte nicht, auf welche Goldader er gestoßen war, und schürfte nicht tiefer; und selbst Eckhard Henscheid und Gerhard Henschel, die den Hör- und Lesefehlern und ähnlichen Verwechslungen zwei Kapitel in ihrer »Kulturgeschichte der Mißverständnisse« einräumten, widmeten sich doch mehr den Versprechern, Verlesern und Verschreibern als den speziellen Verhörern. Das tut so richtig erst Axel Hacke, und deshalb sollte sich zum Freudschen Versprecher und Lichtenbergschen Verleser künftig der Hackesche Herr Köhler verbellen würfeln, nein: der Hackesche Verhörer gesellen dürfen. |
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