Inhalt der Printausgabe

Mai 2006


Humorkritik spezial
»Not all drugs are good. Some of them are great!«
(Seite 3 von 3)

    






Zum Weitermachen motiviert einen immer mehr zur Selbstzerstörung neigenden Bill Hicks nur noch eine Gruppe junger Comedians, mit denen er Bühnenshows in Houston organisiert: Outlaw Comics nennen sie sich, einer ihrer größten Erfolge ist »Outlaw -Comics Get Religion«, eine gegen die Bigotterie der sog. Televangelists gerichtete Show. An guten Tagen haben sie fast 800 Zuschauer. Die Presse preist »Billy The Kidder« für seine Fähigkeit, mit schneidendem, aber im Grunde zutiefst moralischem Humor heilige Kühe zu schlachten. Erst die Popularität der Show ermöglicht es Hicks, auch bei Gastspielen wieder so bösartig-komisch aufzutreten wie früher.
Zum Touren ist er gezwungen, denn trotz des Erfolgs ist Hicks oft pleite: Er gibt seine Gage regelmäßig für Drogen und Alkohol aus. Die scheinheilige Politik, Marihuana und horizonterweiternde psychedelische Drogen zu verbieten, aggressiv machenden Alkohol und giftiges Nikotin aber zu erlauben, wird zu einem zentralen Thema seiner Bühnenmonologe.
»Warum ist Marihuana verboten? Es wächst doch überall auf der Welt! Wie kann die Natur gegen Gesetze verstoßen? Ist es nicht ein bißchen paranoid, die Natur zu kriminalisieren? Marihuana zu verbieten ist wie Gott vorzuwerfen, er hätte einen Fehler gemacht. ›Hey‹, sagt Gott, nachdem er die Welt erschaffen hat, ›ich hab’ überall Dope rumliegen lassen… Hätte ich bloß diesen Joint am dritten Tag nicht geraucht! Das war der Tag, an dem ich die Opossums erschaffen habe! Nun werden die Menschen denken, sie sollen davon Gebrauch machen! Shit, jetzt muß ich die Republikaner erfinden!‹ Und Gott weinte.«
Am Neujahrsmorgen 1988 wacht Hicks alleine auf. Seine Freundin Pamela ist nicht da, und er erinnert sich nur vage an den Abend: eine Party, viel Alkohol, Aggression und ein handfester Streit mit Pamela auf dem Balkon, die Drohung, sie übers Geländer zu stoßen, aus dem 22. Stock. Daß sie nicht da ist, kann nur zwei Gründe haben: Sie hat ihn verlassen – oder sie liegt auf der Straße. In Panik ruft er bei ihr an. Sie hebt ab. In diesem Moment beschließt Hicks, sein Leben zu ändern, und besucht ab sofort Treffen der Anonymen Alkoholiker. 26 Jahre alt ist er nun.
Mit der Abstinenz kehrt der Erfolg zurück. Hicks schließt seinen ersten Plattenvertrag bei einem Indie-Label, seine CDs werden eher wie Rock- denn Comedyplatten beworben. Es folgen die erste Aufzeichnung einer Show, »Sane Man«, etliche Gastspiele bei Letterman und ein Special beim Bezahlfernsehen HBO. Zum landesweit gefeierten Star aber wird Hicks nur in England. Dem britischen Enthusiasmus für den amerikakritischen Südstaatler ist auch die Aufnahme seines Montreal-Sets »Relentless« zu verdanken: Ein Scout der britischen Fernsehgesellschaft Tiger Television ist von seinen Auftritten beim Comedy Festival so begeistert, daß sie zusätzlich zu den sechs halbstündigen Features, die sie vertraglich mit den Organisatoren in Montreal vereinbart hat, Hicks’ gesamte Show aufzeichnet. Channel 4 entschließt sich, daraus eine einstündige Sendung zu machen, zusätzlich zur regulären Berichterstattung über das Festival, das in England alljährlich gespannt verfolgt wird.
Zu diesem Zeitpunkt hat Hicks seine kaustische Show annähernd perfektioniert. Er setzt spielerisch Bestandteile früherer Sets zu einem fesselnden Stream of Consciousness zusammen, und mehr denn je wird sein Comedy Set zum Rock’n’Roll-Konzert, sein Mikro zum Instrument. Er schreit, tobt, springt über die Bühne, simuliert Verkehr mit seinem einzigen Requisit, einem Barhocker, und schiebt sich das Mikrophon – »Ouuuaarrgghh!!« – in den Rachen, um onomatopoetisch darzustellen, was Rockstars tun, die sich für Werbung hergeben oder für die Antidrogenkampagne der Regierung Bush: They’re sucking satan’s cock. Ein Stück, das er auch einmal überraschend vor Managern der Plattenindustrie bringt, die ihn als ersten Comedian zur alljährlichen Firmenparty eingeladen haben.
Im Juni 1993, ein halbes Jahr nachdem das Rolling Stone Magazine ihn zum »Hot Comic 1993« gewählt hat, läßt Hicks die Ursache für die Leibschmerzen untersuchen, mit denen er sich schon längere Zeit herumschlägt. Er ist nicht krankenversichert und deshalb nie zum Arzt gegangen. Es ist Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Ärzte geben ihm ein halbes Jahr.
Sein letzter, zwölfter Auftritt bei Letterman wird wenig später unter nicht ganz geklärten Umständen aus der Show geschnitten. Hicks macht Scherze über die Abtreibungsgegner von Pro Life, und in Teilen des Ausstrahlungsgebiets von NBC hat Pro Life Werbespots geschaltet. Später macht Lettermans Produktionsfirma den Sender verantwortlich, der aber behauptet, keine Änderungen an der Show vorgenommen zu haben. Hicks ist zutiefst verletzt, er sieht sich ein weiteres Mal mundtot gemacht und weiß: Es wird das letzte Mal in seinem Leben gewesen sein. Dieser Vorfall wird zum einzigen Gegenstand seiner letzten Auftritte. Trotz seiner Schmerzen, gegen die er kein Mittel nehmen will, arbeitet er wie ein Besessener, plant eine Fernsehserie in Großbritannien und tritt weiterhin auf. Seine Sets werden immer düsterer. Am 5. Januar 1994 gibt Hicks seine letzte Vorstellung, zwei Wochen vor seinem Tod hört er für immer auf zu sprechen.
Möglicherweise ist es eine Art »Prinzessin- Diana-Syndrom«, das Hicks posthum überlebensgroß werden ließ. Doch auch ohne sind mir Hicks’ schmerzhafte, bisweilen zynische Aufrichtigkeit und sein großes komisches Talent ein leckeres Gegengift zu der seichtdummen Unterhaltung, die dank Staats- und Kapitalfernsehen heute ubiquitär ist. Insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September sind drastische Töne wie die von Hicks selten. Sieht man heute »Relentless«, stellt sich ein Déjà vu-Erlebnis spätestens ein, wenn Hicks auf George Bush und den Golfkrieg zu sprechen kommt. Mit Sicherheit verehrt die kleine, aber eingeschworene Hicksgemeinde ihren Hausgott genau aus diesem Grunde heute mehr denn je.
Oliver Nagel

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg