Inhalt der Printausgabe

Mai 2006


Humorkritik spezial
»Not all drugs are good. Some of them are great!«
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Schon mit vierzehn weiß William Melville Hicks, was er will. Einzelgänger, der er ist, sitzt er die meiste Zeit des Tages in seinem Zimmer und schreibt in seine Kladde Oneliner, die er am nächsten Tag an seinen Mitschülern testet. Seine Eltern, tiefgläubige Mitglieder einer Baptistengemeinde im Westen von Texas, sind nicht begeistert davon, daß ihr Sohn im kirchlichen Ferienlager seine Zuhörer mit Witzen unterhält, die von seiner »schweren Kindheit« handeln: Er sei gestillt worden – an künstlichen Brüsten! (Ein Gag, den er von seinem Vorbild Woody Allen geklaut hat.) Doch Bills Eltern lassen ihn gewähren, schenken ihm sogar einen kleinen Schwarzweißfernseher, mit dem er fortan die »Tonight Show« sieht. Ein Erweckungserlebnis: jüdische Ostküsten-Comedians statt Bob Hope und Johnny Carson! Eine Inspirationsquelle, die er fortan weidlich nutzt. »Mein Vater war Bestatter, und sie haben ihn gefeuert«, erzählt er seinen Teamkollegen in der Footballumkleide. »Er soll was mit einer Leiche gehabt haben. – Aber es war rein platonisch.« Peinlich berührtes Schweigen in der Kabine. Keiner weiß, was »platonisch« bedeutet.
Bills einziger Freund zu dieser Zeit ist Dwight Slade. Sie besorgen sich nach einigen gemeinsamen Auftritten einen Agenten bei Universal Talent, der ihnen einen Gig bei einer Charity-TV-Show in Houston verschafft: im Red Apple Nightclub. Um zwei Uhr nachts. Die Eltern verbieten es. Im Frühjahr 1977, Live-Comedy beginnt in den USA gerade zu boomen, werden sie zum ersten Mal engagiert, als Stand-ups im Comedy Workshop. Nachts stehlen sie sich aus dem Haus ihrer Eltern, ein Freund fährt sie in die Stadt. Fortan haben die Fünfzehnjährigen regelmäßig Auftritte in Houston, und sie sind erfolgreich; wenn nicht wegen der Qualität ihrer Witze, dann weil das Publikum es amüsant findet, daß da zwei Halbstarke auf der Bühne stehen und anzügliche Witze reißen.
Bill: »Wir sind sexuell mißbraucht worden, als wir jung waren.« Dwight: »Ja, wir haben nie welche abgekriegt.« Bill: »Bei manchen Geburtstagspartys springt ja ein nacktes Mädchen aus der Torte.« Dwight: »Aber wir waren so arm – alles was wir uns leisten konnten, war ein nackter Zwerg, der aus einem Muffin gehüpft kam.«
Im Jahr darauf tritt Bill solo auf, im Comix Annex, einem Ableger des höchst erfolgreichen Comedy Workshop. Eines Tages ruft er seinen Bruder Steve an und bittet ihn, abends ins Annex zu kommen. Als der seinen jungen Bruder auf der Bühne des ausverkauften Clubs sieht, ist er baß erstaunt: Er wußte ja nicht, was der Kleine da in seinem Zimmer getrieben hatte. Als Bill achtzehn ist, er hat gerade einen lausigen High School-Abschluß gemacht, mieten seine Eltern ihm ein Zimmer in Los Angeles und kaufen ihm ein Auto. Bill hat Aussichten, in einem HBO-Comedy Special mitzumachen, und seine Eltern betrachten L.A. als eine Art Comedy-College.
Der Mann, der mit Pointen wie mit Steinen nach mir wirft, wirkt beinah wie ein Prediger. Schwarz gekleidet ist er jedenfalls. »Viele Christen tragen ja ein Kreuz um den Hals. Glauben Sie, wenn Jesus wieder auf die Erde käme, wollte er jemals wieder ein verdammtes Kreuz sehen? Das ist doch, wie wenn man zu Jackie Onassis [der Witwe John F. Kennedys] ginge mit einem kleinen Gewehr am Halskettchen: ›Hey, Jackie, wir haben gerade an John gedacht! We love him! Peng, peng…! Just wanna keep the memory alive!‹« Für Scherze dieser Art ist Hicks bereit hinzuhalten. Nach einer Show in Alabama, berichtet er, seien einige Rednecks auf ihn zugegangen: »›Hey, Spaßvogel, komm mal her! Hey, Kumpel, wir sind Christen, und uns gefällt nicht, was du da gesagt hast!‹ Ich sage: ›Dann vergebt mir.‹« Statt dessen verprügeln sie ihn.
Schon in L.A. hatte Hicks begonnen zu meditieren und sich für spirituelle Dinge zu interessieren. Nun, kurz vor seinem 21. Geburtstag, entdeckt er die Kraft von LSD und Psilocybin. Mit Freunden fährt er regelmäßig aufs Land, um in rituellen Sitzungen psychedelische Erfahrungen zu machen. Doch während er die Halluzinogene von seinem Alltag zu trennen weiß, verfällt Hicks, bislang völlig abstinent, dem Alkohol. Schon vor seinen Auftritten trinkt er nun Whisky. Viel Whisky. Sein Ton gegenüber dem Publikum wird zwar schärfer, seine Komik allerdings im gleichen Maß, so daß auch seine Publikumsbeschimpfungen überaus unterhaltsam und erfolgreich sind. Gerne bittet er seine Zuschauer, sich selbst zu beschlafen, und verherrlicht den Drogenkonsum. Nebenbei beginnt er auch noch, Kette zu rauchen.
Im Februar 1984, auf die Fürsprache seines Freundes Jay Leno hin, will David Letterman ihn für seine Fernsehshow buchen. Bill, dessen Telefonanschluß gesperrt ist, soll zurückrufen. Hicks nimmt statt dessen ein paar Pilze und gondelt mit einem Freund durch die Gegend. Bis der ihn überzeugt, in New York anzurufen, ist es zu spät: Lettermans Booker ist schon im Wochenende. Bill hat es vergeigt. Nicht zum letzten Mal.
Sein Hauptproblem ist allerdings der Alkohol. Immer weniger Veranstalter wollen ihn buchen. Nach seinen Shows stürzt er ab und provoziert Gäste mit seinen Pöbeleien bis zur Prügelei. Außerdem beginnt er, betrunken zu randalieren. »The drinks are on the house!« schreit er vor Clubs und wirft sein Glas aufs Dach. Zwar ist er durch entschärfte Sets bei Letterman mittlerweile bekannt, doch das Publikum in den Comedy-Clubs hat gegen Mitte der Achtziger gewechselt. War Live-Comedy bis dahin neu und hip, so daß Fans bereitwillig Eintritt zahlten, so wird sie nun Mainstream. Ein immer größeres Publikum interessiert sich dafür, und mit dem großen Erfolg gehen mehr und mehr Clubs dazu über, keinen Eintritt mehr zu nehmen und statt dessen ein Minimum an verzehrten Drinks zu verlangen. Immer mehr Leute besuchen Stand-up-Shows, die keine genuinen Anhänger dieser Unterhaltungsform sind – und immer mehr Reaganites sind unter ihnen. Keine guten Bedingungen für Regierungs- und Religionsbeschimpfungen; ganz schlechte Bedingungen für Drogen- und Pornographieverherrlichung. Hicks’ Gastauftritte bei Letterman werden vom Sender verstümmelt. Hicks und seine Fans verstehen es als Zensur.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner