Inhalt der Printausgabe

Januar 2005


Humorkritik
(Seite 3 von 5)

Fleisch, Gemüse, Strunk
Der Tanzmusiker Heinz Strunk hat's nicht leicht. Unbeweibt, aknegeplagt, verkannt und rettungslos überqualifiziert, verdauungsgestört, alkohol- und/oder tablettenabhängig, automatenspielsüchtig und kettenrauchend lebt er Mitte der Achtziger in Hamburg-Harburg und wartet darauf, eines Tages vielleicht doch noch vierzig Jahre alt zu werden. Obwohl sein Lebenswandel als Musiklehrer und Tanzkapellenmucker, Zwangsonanist und Zwergenhausbewohner, Sterbebegleiter, Fleischesser und Spiegeleivernichter das nicht gerade nahelegt.
Der hier schon gelegentlich empfohlene, weil u. a. mit Heino Jaeger vergleichbare Bühnen- und TV-Komiker, Scherztelefonist und Soloplattenmacher Heinz Strunk hat nun unter dem Titel "Fleisch ist mein Gemüse" (rororo) seine erschütternde "Landjugend mit Musik" niedergeschrieben, und er hat sich dabei wahrlich nicht geschont. Ohne Scheu und Glauben wird aus der Welt der bühnengebundenen Unterhaltungsmusik berichtet, der "musikalischen Dritten Welt", wie Strunk sie nennt: von Faschingsmucken im Höllengasthaus Kroll zu Hollenstedt oder dem noch viel verkommeneren Gasthof Bruhn, in dem der "Todtglüsinger Faslam" tobt ("Brandstiftung, Amoklauf, Kannibalismus, alles schien denkbar"), da werden "Zerhacker" getrunken und "Gehacktesstippe" verzehrt, und auch an echten Monstren, Lumpen und Verlorenen ist kein Mangel. Der allzeit Hoffnungsloseste ist jedoch immer der Erzähler selbst. Seine persönliche Bilanz der Ära Kohl, deren Namensgeber sich wie ein überlanger Bandwurm durch die Selberlebensbeschreibung zieht: "Der Mensch ist kein Beilagenesser."
Einmal wagt der Querflötist und Saxophonist Strunk denn doch den branchennotorischen Ausbruchsversuch: Er will selbst Musikproduzent werden und sucht per Anzeige eine Profi-Sängerin. Die Antwort ist ernüchternd: "Nicht ein einziges professionelles Bild war dabei, sondern ausschließlich private Schnappschüsse minderer Qualität. Ein junges Mädchen hat sich beispielsweise auf einem braunen Sofa fotografieren lassen. Im rechten Arm hält sie einen Säugling und in der linken Hand eine brennende Zigarette."
Ein höchst tragisches, merkwürdig enervierendes und zugleich verwirrend ehrliches Buch, das vor allem in einer Hinsicht überzeugt: Es ist sehr komisch. Allein die Dialoge sind als das Gegenteil von gestelzt zu bezeichnen - sie klingen leider gar zu authentisch und sind daher eher schwach. Aber das sehen wir dem literarischen Debütanten Strunk gerne nach und erfreuen uns abermals an einer der gar nicht seltenen virtuos apokalyptischen Schilderungen: Gerade kommt Strunk samt Kapelle beim legendären Hamburger Künstlerausstatter "Uniformen Heinemann" an, wo man sich weiße Bühnensmokings schneidern lassen will, um so endlich "in die mondäne Welt der Ärztebälle oder der Jahrestagung deutscher Gewürzbotaniker" vorstoßen zu können.
Dort liegt auch ein Referenzkatalog der Heinemannschen Kundschaft aus, "in den fein säuberlich Fotos Hunderter Kleinkünstler, Alleinunterhalter und Tanzbands eingeklebt waren. […] Ich blätterte den Katalog durch und war entsetzt. Es schien sich um die Belegschaft eines Pflegeheims zu handeln, die gerade für den Karneval kostümiert worden war. Pferdegesichtige Affenmenschen, hagere Kobolde, aufgedunsene Kumpeltypen und dehydrierte Starkstromalkoholiker bildeten hier ein Panoptikum des Schreckens. Körperteile, die einfach nicht zueinander passen wollten, viel zu kleine Köpfe, die auf dicke Leiber aufgeschraubt waren oder umgekehrt, Sechziger-Jahre-Koteletten, Pißpottschnitte, Minipli und andere längst aus der Mode gekommene Sturm- und Pilzfrisuren, Hakennasen, rekordverdächtige Rhabarberohren und Sängerinnen, die längst das Rentenalter erreicht hatten, gaben sich hier ein finsteres Stelldichein. Vielleicht war Herr Heinemann ja ein Untoter, der mit Hilfe dieser Lemurenarmee die Weltherrschaft zu übernehmen trachtete? So machte ich mich über meinen Berufsstand lustig, dabei sah ich keinen Deut besser aus."


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
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09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster