Inhalt der Printausgabe

Januar 2005


Humorkritik
(Seite 5 von 5)

Dummbilanz 2004
Den Witz des Jahres als Dummbeutelei des Jahrhunderts fraglos bewerkstelligte die Schwedische NobelpreisMannFrauschaft mit der Erwählung der österreichischen Vollnullität Elfr. Jelinek, die auch prompt wünschenswert dämlich, nämlich "erfreut", aber vor allem "verzweifelt", nämlich "bedroht" eben darauf reagierte. Zu jeder Doofheit aber findet sich bekanntlich ein Nochdööferer, in dem Fall stellte sich Claus Peymann zur Verfügung: "Eine der besten Entscheidungen. Jelinek ist jene Kassandra, die das Schreckliche kommen sieht, das Unheil, den Tod, und niemand glaubt ihr" usw. - schon tragisch fast, daß hinsichtlich dieser "mutigen Entscheidung" (Drecksblatt Kronenzeitung) ausgerechnet zwei ihrerseits Unsägliche der Wahrheit näher kamen. Jörg Haiders freidemokratische Kultursprecherin H. Partik-Pablé erwitterte Schizophrenie bei jenen Landsleuten und Verantwortlichen, die jetzt jubeln, während sie vorher ebenso einhellig klagten, Jelinek ziehe als ihre einzige poetische Leistung mit "hochsubventionierten Österreich-Beschimpfungen" ihr Land "in den Dreck". Und: Es braucht heute schon den greisen Altseichtkopf Reich-Ranicki, damit wenigstens einer ausspricht, daß sich die Qualität dieses Werks "in Grenzen hält".
Reich-Ranicki seinerseits graste im 85. Lebensjahr als "europäische Persönlichkeit mit Vorbildfunktion" vorbildlich den "Europäischen Kulturpreis" ab und versöhnte sich dann aber leider doch noch mit den "Geschwistern Jens" (M. Walser); während Jelineks allzeit unzurechnungsfähiger Landsmann A. Hrdlicka mit jenem Graphikzyklus "Wie ein Totentanz" zu fesseln vermochte, der in Nürnberg im dortigen Dokumentationszentrum mustergültig "eine Auseinandersetzung mit Macht, Gewalt, Tätern und Opfern im Kontext des 20. Juli 1944 darstellt"; welches Datum auch sonst 2004 kraftvollst gefeiert wurde. Kollege J. Immendorff dagegen teilte bereits am 17.2. dem und im Fernseh mit: "Mit aller Energie, über die ich verfüge, möchte ich mich einbringen, und das ist, glaube ich, viel spannender" als sogar die uns noch gut erinnerliche kokaingewürzte Nutteneinbringung ein halbes Jahr vorher, für die der todkranke Kunstesel einerseits verurteilt und dann aber doch irgendwie freigesprochen worden war.
Schon auf Ende 2003 zurückgreift gleichfalls W. Jens' "absurde und läppische" (W. Jens) späte Enttarnung als alter Nazi - vielleicht ja auch deshalb wollte er sich dann mit R.-Ranicki sogar überpersonal wiederversöhnen, und die zwei angeschlossenen Frauen gleich mit dazu. Zumal Altschleimer Thierse gleichfalls seinen "Aufstand der Anständigen" von 2002 im Berichtsjahr runderneuerte, insofern er dem Hohen Haus in Berlin feierlich zusagte, seinen ewigen "Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung" von was auch immer als Rocker gegen rechts fortzuführen - belohnt für das nämliche und wiederholt laut geröhrte Anliegen wurde Jockel Fischer, indem er kurz nach Iris Berben den Leo Baeck-Preis der deutschen Juden einfuhr. Während Reemtsma den etwa gleichbedeutenden Heinz Galinski-Preis einstrich, sich dabei aber eventuell doch zu weit aus dem Fenster hängte, weil er sich vor den Ohren der Berliner Jüdischen Gemeinde beinahe zum geschaßten CDU-Hohmann schlug: "Die Begründung", so Reemtsma, für dessen allseits als "unerträglich" bekrähten Antisemitismus sei man "schuldig geblieben". Ähnlich äußerten sich mit Verspätung und aus der sicheren Deckung heraus auch andere wie Hans Olaf Henkel - das gab Jock. Fischer anscheinend Zeit und Muße, sich im Fernsehen für den neuen Roman von Carlos Ruiz Zafón zu verwenden: "Sie werden alles liegenlassen und die Nacht durchlesen." Statt weiter wachsam ein neues Auschwitz zu verhindern. Oder wenigstens Hohmann. Oder mindestens endlich mal ein bißchen Englisch zu lernen.
Es war ein kulturell rühriges Jahr. Aber während Altschmock Karasek sich damit beschied, als "Aggregat eines Schwabbelzustands" (novo) gänzlich "verrottet und unwürdig" (taz) uns auch noch und schon zum viertenmal mit seiner erregenden Biographie auf den Wecker zu gehen; derweil hat Christoph Hein im Verein mit seinem Suhrkamp-Verlag und dessen neuer "Unseldkultur" (Ulla Unseld-Berkéwicz, 2004) eine einigermaßen neoschmockische Gaunerei ausgebrütet: Er las nicht, er - ließ lesen, nämlich in Hamburg U. Wickert, in München Jutta Limbach, in Berlin R. v. Weizsäcker für ein hoffentlich sechsstelliges Honorar. Hein kreierte damit auch gleich einen neuen Beruf, den des "Vorstellers" - eskalieren konnte die literarische Ferkelei höchstens noch im Frühsommer der Ex-Mannesmann Klaus Esser, der, obwohl bereits absehbar freigesprochen, in seinem gerichtlichen Schlußwort stellvertretend für seine eigene tragische Lebenssituation den Freiherrn von Eichendorff rezitierte: "Was ich wollte, liegt zerschlagen, Herr, ich lasse ja das Klagen, und das Herz ist still."
Mit Grund, denn anders als Eichendorff kriegte der Ruchlose ja seine 32 Mio plus Nebenspesen. Also weniger ein Fall für die Dummheits-, sondern schon für die Obszönitäts-, ja Perversitätsbilanz 2004.
Versagt hinsichtlich der allzeit treulich "geldanschaulichen" (K. Kraus 876/84) Esser, Ackermann und Konsorten hat 2004 abermals der dazu eigentlich gegründete Deutsche Ethikrat, der aber nur wieder sinnlos in Genmanipulations- und Stammzellenproblembrühen herumpanschte - vielleicht deshalb noch mehr zusammengetan haben sich im Berichtszeitraum Habermas und Ratzinger. Möchte jener mit allerlei "herrschaftsfreier" Diskursethik den Glauben "säkularisieren", so dieser halt einfach einen irgendwo verlorenen Sohn irgendwie wiederhaben, vielleicht wollten auch beide gar nichts, sondern damit nur in die FAZ und später ins Fernseh - das damals, im Frühjahr, sonst besetzt war mit Gaunern und Untreuen und mächtigen Sonnenkönigen wie Florian Gerster von der Nürnberger Arbeitsmangelagentur mit ihren 80000 Angestellten; deren atemraubendes Treiben im Februar aber zuweilen sogar die Vodafone-Mannesmann-Heroen Neid lehren mochte.
"Das größte Ereignis seit 10000 Jahren!" versprach im Juni in machtvollen Anzeigen der etwas kleiner gedruckte Film "The Day After Tomorrow" und verschwieg damit nicht nur zu Jockels Schmerz Auschwitz, sondern auch den vor 7600 Jahren stattgehabten Gleitflug des Neandertalers Detlev, wie er auf der Riesenhummel Ruth II den Turm von Babel rammte. Aus dem engeren nationalen Filmbereich wurde gleichzeitig gemeldet, daß die Nachwuchsschauspielerin Felicitas Woll nach dem gleichfalls millenniumsmäßigen Erfolg der TV-Serie "Berlin, Berlin" sich vorsorglich "zurückgezogen hat", weil sie nämlich jetzt "durchstarten will". "Der Schauspielerberuf zerrüttet die Moral beim Weibe total" (Martin Mosebach, Regensburg, Karmeliterhof, 30.9., 7.45 Uhr). Beim Verstand dagegen hat er nichts mehr zu zerrütten.
Hinwiederum im namentlichen Frauenbereich kam es wenn schon zu keinem weiteren Paradox, so doch zu harter Rivalität zwischen der neu bekanntgewordenen "Burgel Biersack-Mattenklott" und der per Todesanzeige damit leider auch schon wieder verschwundenen "Tilde Forelle geb. Kalbfleisch", Kondolenzadresse: "Gesine Simpfendörfer-Dell". Im Ressort Bundespräsidentin blieb uns zwar gottseidank eine weitere und bereits extrem aufgezogen-durchstartwillige Gesine (Schwan) erspart; dafür brillierten weiterhin im politischen Bindestrich-Amt "Alexandra Dinges-Dierig" (parteilos) und, die Schraube eins weitergelockert, die hessische Abgeordnete "Veronika Kiekheben-Schmidt-Winterstein".
Bombig geradezu placierte kurz vor Jahresverhauchen die für dergleichen Spitzenjournalismus noch immer bolzengerade einstehende Frankfurter Rundschau mit der Aufmacher-Headline "Union bekommt Dresche" eine schon nicht mehr verhoffte Infantilinferiorität des Jahres - versüßt war der Saft durch die gepefferte Würze, daß der Schleim auch inhaltlich vollends haltlos war: Es ging bloß um irgendeinen vergessenswerten Dissens halt mit der SPD.
Diskursbegriffsinnovativ kam aus Amerika zur weiteren Zubetonierung des leicht stagnierenden Psychomarkts die "Quarterlife"-Crisis, die da irgendwie, so liest man, "die Sinnkrise der Mittzwanziger" im Auge behält. Im heimischen Wortdreckswesen dagegen hat sich 2004 die allseitige "Kompetenz" nach vorne gegaunert, vor allem in Gestalt sog. "Kompetenzzentren" (vorm.: Rathaus, Handelskammer usw.) - das deutsche Volk dagegen? Hat uns im Vorjahr enttäuscht. Es kürte tatsächlich, animiert vom Deutschen Sprachrat und vom Goetheinstitut, in einer Art Umfrage als das schönste deutsche Wort keineswegs wie Esser "Geld", auch nicht "Euro", nicht mal "Liebe", nicht mal Claudia und Nadja und Heidi hatten Chancen; sondern komplett konsternierend: "Habseligkeiten". Sollte tatsächlich, ein letztesmal, Geist, der Weltgeist, in die Masse, den Plebs, eben ins Volk eingefahren sein? Das hätte gerade noch gefehlt. Immerhin: Ein Plebiszit, dem man sich, anders als dem saudummen des ZDF über der Deutschen liebste Bücher, hier ohne Saumseligkeit (dafür hätte ich votiert) stramm anschließen kann.
Ohne zu säumen führt unsere Torheitsjahresbilanz wohl auch darum stracks nach Österreich zurück. Nicht allein hatte es dort erstmals, in Wien in der Vogelsanggasse 36, ein bis dahin "Kaffee-Erlebnismuseum" geheißenes neues "Kaffee-Kompetenzzentrum" mit der Aufgabe der weiteren Festigung der Wiener "Kaffeehauskultur". Nein, mit Marlene Streeruwitz holte sich erstmals auch ein Österreicher die Trophäe für den hirnrissigsten, weggetretensten, allerdämlichsten Satz des Jahres; selbstreferenziellerweise wieder ein weiblicher: "Ich habe mich des Begriffs Heimat entschlagen" (Fischer-TB "Heimat", 2004). Streeruwitz meint übrigens: Sie nimmt das Wort Heimat nicht mehr in den Mund; es sei denn gegen etwas Geld. Das gerade hätte sie nun allerdings nicht tun sollen. Denn zwar rundet das den Kreis inhaltlich und stilistisch geradewegs retour zu E. Jelinek (geb. Mürzzuschlag), dem vorerst unerreichten Leitbild. Allein, eben das schlagend, totschlagartig, ja schlagobersartig, fast schon mürzzuschlagartig Heimatliche des Österreichischen war es wohl gerade, was die Stockholmer Jury - - und mithin auch die nächste Nobelkandidatin - - - ja, doch, Marlene hätte das Zeug dazu.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt