Inhalt der Printausgabe

Februar 2005


Die Nacht des Markus Söder
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"Einen Scout mit coolem Hut finden alle Frauen gut",
lautet seit jeher die Devise des Machtmenschen M.S.
Am 5.1.1967 wird er in Nürnberg geboren. Mit 17 tritt er der CSU und Jungen Union bei, deren Landesvorsitz er 1979 übernimmt. Ab 1997 holt er als Kreisvorsitzender von Nürnberg-West glänzende Wahlergebnisse. Im Jahre 2002 ist er Chef der CSU-Medienkommission, Mitglied des Internet-Beirates der bayerischen Staatsregierung, Kuratoriumsmitglied der Bayerischen Akademie für Fernsehen und macht mit einem coolen 15-Tonner namens "Stoiber-Truck" Bundestagswahlkampf bei den deutschen Touristen der Adria-Küste. Im November 2003 ernennt Edmund Stoiber ihn, Markus Söder, den 36jährigen Juristen und Vater dreier Kinder, zum Generalsekretär der CSU, zu seinem Liebsten und Thronerben mithin.
Kein Zweifel: Der Mann ist am Ende. Doch wie in allen riskanteren Vitae und Existenzen gab es auch hier, eine quasimagische Sekunde lang, die Option auf Umkehr und gelingendes, würdiges Leben, ja humanitas: nämlich im Dezember 2004, während eines Zeltlagers der christsozialen Pfadfinderjugend "Nürnberger Luchse". Stargast: Ex-Mitglied M. Söder himself...


Eine stille Utopie von Thomas Gsella

Arktisch pfiff der Wind und tauchte in den Spalt zwischen Mantelärmel und Handschuh, krabbelte durch Wollpulli, Ober- und Unterhemd, um sich in eiskalten Wellen über die nackte und augenblicks schaudernde Haut zu ergießen - so schauerlich und überwältigend fror Erwin Hupplmoser (17), daß ihm melancholisch wurde und er gar wieder anfing, Fingernägel zu kauen. 19.43 zeigte seine Uhr; noch eine freudlose, eine schreckliche Dreiviertelstunde würde vergehen, bis Hauptfähnrich Schorschl endlich den Grill anschmiß. Bis dahin: starr auf der Wolldecke sitzen, den Zeltkreis im Rücken, die Sterne im Nacken, einatmen, ausatmen, hier und da ein Joke mit den verpickelten Luchsen, der Rest hieß schnattern, hieß frieren.
Offenes Feuer war im Hummelsteiner Park halt leider verboten; zu direkt ging das zwei Fußballfelder große Spaziergrün über in bewohntes und vielbefahrenes Gebiet, dessen Rauschen und Hupen die Ohren der Jungschar ungemindert erreichte. Bäume, die den Schall hätten fangen können, gab es nicht mehr, sie waren vor Jahren sämtlich gefällt worden, um den im Park postierten Überwachungskameras einen besseren Blick auf rauchende und küssende Jugendgangs zu gewähren. So war nichts geblieben als ebene Wiese, gefroren unterm dröhnenden Polarwind Winternürnbergs.
"Echt Wahnsinn, daß der Herr Doktor Söder uns heute abend beehrt", flüsterte Seppl Hammermas (14) und rieb mit seinen Handschuhen über die angezogenen Knie. "So eine Chance kriegen wir nie wieder."
Stumm nickend hauchte Alois "Akne" Gruber weiße Luft zum vollen Mond, fiel aber urplötzlich ins Grinsen: "Übrigens! Ich werd ihn fragen, wie es die Menschen hinterm Eisernen Vorhang eigentlich mental - ausgehalten haben!"
Die sechsköpfige Runde erstarrte nur kurz. Dann fuhr Hauptfähnrich Schorschl, der aus lauter Kältegram begonnen hatte, die Grillkohlen nach Gewicht zu sortieren, haßerfüllt herum: "Zwei Fleißkärtchen, Arschloch. Kreisvorsitzender wirst du trotzdem nicht."
"Nicht und niemals, Pickelpisser." Noch war Oliver Baumgarten (11) vorm Stimmbruch, wurde von allen nur "Mädchen" genannt, was im lutherischen Pfarrerssohn eine gewisse Dauergereiztheit implantiert hatte. "Du Hitlerficker! Meine Fragen werden ihm viel besser gefallen!" Zauselnd griff er nach einem flanierenden Käfer, hieß ihn "böser Wolf" und fraß ihn wortlos; zuweilen war es, Mädchen, wahrlich noch ganz Kind, noch ganz eingesponnen ins Grimmsche Märchenuniversum…
"Pscht!" machte nun aber der Hammermas Seppl. "Ruhe im Schützengraben! Da kommt jemand." Pfeilschnell war Mädchen im Stand und griff nach seinem Fahrtenmesser: "Parole!!"
"Hühnerkacke, Hühnerkacke, heu heu heu. Ich bin's, Jungs, steht entspannt!" Wie von der Tarantel gebissen sprangen die Pfadfinder auf.

Drei Bröckchen Shit für sieben Christsoziale: Viel war das nicht…
I mmer enger hatte sich der nächtliche Citywiesenkreis um den mau wärmenden Grill geschlossen, und Schorschl machte seine Sache gut. Wie ein alter Hase garte er Bratwürste und Schweinelappen, Tomaten- und Curryketchup taten das ihre, und weil Markus Söder gleich nach der neunstrophigen Begrüßungsweise "Unsre Oma fährt im Hühnerstall Motoooorrad!" zu seiner elfhunderter Ya-ma-ha zurückgesprintet war, um drei Kästen Märzen vom Gepäckträger zu fingern, war das dankbare Raunen und Staunen schon anfangs perfekt gewesen. Mit leuchtenden Hälsen und Augen mampften und hingen die Gemeinwohlkids in spe an den Lippen des, sie konnten es ja immer noch nicht fassen, nach Stoiber weltweit zweiten Mannes überhaupt!
Hingen anfangs jedenfalls; in einem Äther aus Respekt und Prüfungskoller setzten sie indes Halbliterflaschen an den Hals wie nie zuvor in ihrem kleinen unterdrückten Leben. Still lag derweil die Stadt. Vom wolkenlosen Himmel frostete todernst der Mond, ein letzter Uhu kauzte vorlaut zum Beginn der lang-ersehnten Fragestunde. Nun also ging's um die Parteikarriere! Drei Boddel hatte Mosthauer junior inzwischen intus, das mußte reichen: "Fuck, Söder, alter Motherfucker, ich ha-hab da was!"
"Anwesend, General!" Woraus man sieht, daß auch der Stoiber-Dackel dem Bier kein scharfes Nein entgegengeschleudert hatte. Sondern seelisch butterweich und mild geworden war.
"Stichwort Benzinwut?" Die Mosthauer-Brut war ja längst nicht voll genug, Mädchens neiderfüllte Blicke nicht erfreut zu registrieren...
Gleichtriumphierend raffte sich nun Söder: "Als ich neulich zur Tankstelle gefahren bin, da bin ich richtig erschrocken. Noch nie war Benzin bei uns so teuer wie in diesen Tagen. Eine Tankfüllung kostet mehr als ein schönes Abendessen zu zweit. Als wir früher in den Urlaub gefahren sind, hat mein Vater kurz vor der Grenze vollgetankt. Er hat…"*
"Scheiß…-nazi!" Gar dem dürren Hupplmoser Erwin war inzwischen ausgezeichnet warm geworden. "Dem Froschfresser die Devisen zu klauen! 'tsch…'tschulligung, mein Führer."
"…hat gute Laune gehabt, weil der Liter in Deutschland zwanzig, dreißig Pfennig billiger war, und wir Kinder haben deshalb meistens noch ein Eis spendiert bekommen. Benzin darf kein Luxusartikel sein, es muß wieder billiger werden. Mindestens so billig, daß an der Tankstelle wieder ein paar Euro für ein…"
"Bier, Schleimscheißer, infernalischer." Grunzte Erwin und fiel für eine Zeitlang um. Söder lachte wiehernd paternalisch und beendete: "…für ein Eis übrigbleiben. - Weitere Fragen?"
Mädchens Brustkorb schlug und verschlug ihm den Atem, aber trotzdem: Immerhin zwei Märzen waren den Minderjährigen hinabgeflossen, gleichviele Fragen hatten ihm die Eltern aufgegeben. Der Zettel zitterte in Mädchens Hand, als er eiernd vorschulkindlich las: "In Ihrem Internettagebuch schreiben Sie oft und gern über Ihren Hund Enzo wie geht es ihm, Fragezeichen. - Puh."
Laut prusteten und prosteten die rotzblau Pubertierenden, Söder überhörte väterlich und schenkte Mädchen eine tiefe Herzensmiene: "Ich danke dir für diese Frage, Oliver. Früher, als ich noch kein Haustier hatte, habe ich mir nicht vorstellen können, daß man um den Zustand eines Collies, Katers oder Kanarienvogels wirklich beunruhigt sein kann. In der letzten…"
"Alliterationen! Wird mir schlecht!" Lüstern würgend köpfte Seppl Hammermas sein viertes Bier und ließ sich auf den Rücken fallen. "Söder, das ist Schifferscheiße! Aber nix für ungut, Alter - was passierte dann?"
"In der letzten Woche nun hat sich unser Enzo böse verletzt. Als wir mit ihm beim Tierarzt waren, hat der einen Kreuzbandriß festgestellt". Sprach's, zog ein Bröckchen Shit aus seiner Ringelsocke und hielt es über den Grill. "Am Anfang habe ich etwas gestaunt, weil ich einen Kreuzbandriß bislang nur mit Fußballspielern in Verbindung gebracht habe - und mich nicht erinnere, meinen Enzo je Fußball spielen gesehen zu haben."
"Ha." Alois' offener Mund kam vor Entgeisterung nicht weiter, Mosthauers aber schon: "Haha. Seppl, bepiß mich." - "Gottvater, laß Hirnkrebs nicht ansteckend sein", betete am Boden Hupplmosers Erwin. Nur Mädchen grölte fleißig wie geprügelt: "Das ist lustig! Ein Hund, der nicht Fußball spielt…!"
Entkräftet schlug ihm Akne seine volle Flasche auf den Kopf.

* Alle kursiven Stellen sind Söder-Zitate aus:
   www.soeder.de, Stern, Welt, Zeit und Spiegel


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

 Njamm, REWE!

Da lief uns ja das Wasser im Mund zusammen, als wir in einer Deiner Filialen mit dieser Werbung beschallt wurden: »Der Sommer schmeckt nach Heinz«. Mmmh! Nach welchem denn? Heinz Rühmann? Heinz Erhardt? Heinz Rudolf Kunze? Oder gar Karl-Heinz Rummenigge? Worauf wir danach aber komischerweise gar keinen Appetit mehr hatten, war Ketchup.

Im Anschluss an diesen Brief haben wir gleich noch ein paar weitere Erledigungen zu machen und freuen uns schon auf Durchsagen wie »Der Herbst schmeckt nach Stuhl« bei Ikea, »Der Herbst schmeckt nach Eicheln« im Gartencenter, »Der Herbst schmeckt nach getrockneten Ochsenschwänzen« im Tierfutterhandel oder »Der Herbst schmeckt nach Linoleum« im Baumarkt!

Deine Heinzelmäuse von Titanic

 Sie wiederum, André Berghegger,

haben als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes nach dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke eine »Investitionsoffensive für die Infrastruktur« gefordert, da viele Brücken in Deutschland marode seien. Diese Sanierung könnten jedoch Städte und Gemeinden »aus eigener Kraft kaum tragen«, ergänzten Sie. Mit anderen Worten: Es braucht eine Art Brückenfinanzierung?

Fragt Ihre Expertin für mehr oder weniger tragende Pointen Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Tatütata, LKA Niedersachsen!

»Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin«, sagt angeblich das gesuchte ehemalige RAF-Mitglied Burkhard Garweg gut gelaunt in einem Video, das bei der Fahndung im Presseportal unter der Rubrik »Blaulicht« veröffentlicht wurde. Die Fahnder/innen erhofften sich dadurch, so heißt es, neue Hinweise, und richten sich deshalb mit den Fragen an die Bevölkerung: »Wer ist ›Karin‹ bzw. ›Carin‹?« und: »In welchem Zusammenhang steht sie zu Burkhard Garweg?«. Schön und gut, da möchten wir nach einem derartigen Cliffhanger nun aber auch die Frage hinzufügen: Wie ist Karins Prüfung denn nun eigentlich gelaufen?

Hinweise an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Schrödingers Ruhebereich

Wenn es im Abteil so still ist, dass ein Fahrgast einschläft und dann übertrieben laut schnarcht.

Loreen Bauer

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
Titanic unterwegs
05.10.2024 Kassel, TiF Max Goldt
05.10.2024 Berlin, Künstlerhof / Buchhändlerkeller Alt Lietzow Christian Y. Schmidt
06.10.2024 Berlin, Schloßparktheater Max Goldt
06.10.2024 Hannover, Pavillon Hauck & Bauer