Inhalt der Printausgabe
Oktober 2004
Vom Fachmann für Kenner (Seite 15 von 16) |
Selbsterkenntnis Ich hatte immer gedacht, mein Beruf sei eine feine, runde Sache. Wir holten einfach die Leute aus den Booten und quetschten sie aus wie Pampelmusen. Uns war egal, was sie für welche waren. Molukken, Bugis, Orang Laut, Fiji, Mikronesier, Samoer, vollkommen wurscht. Rassisten waren wir nicht, kann keiner behaupten. Wir waren nur scharf auf jede Geschichte. Natürlich gab es bessere. Ich mochte: "Die Katze und der heiße Brei". Das war meine Lieblingsgeschichte. Und dann gab es welche, die wir immer wieder hörten: "Der eineiige Missionar", "Rubi und Ruba", "Kokosmeier". Wenn einer damit anfing, schmissen wir ihn gleich wieder über Bord. Die anderen folgten später. Klar, manche plärrten ein bißchen herum. Aber wir hatten ihnen eigentlich nichts getan. War doch hinterher noch alles dran an den Leutchen. Wenn wir genug Geschichten zusammen hatten, ging's ans Verkaufen. Holländische, amerikanische, deutsche Kinderbuchverlage. Am besten zahlten die Araber. Das glaubt man gar nicht, wie die auf Südseegeschichten stehen, die Brüder. Wie gesagt: Ich war mit meinem Job voll zufrieden. Bis ich eines Morgens aufwachte und klarsah: Ich war nichts weiter als ein kleiner gemeiner Geschichtendieb im Auftrag internationaler Konzerne. Am Abend stellte ich mich den Behörden. Christian Y. Schmidt
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