Inhalt der Printausgabe

Juni 2004


Pasolini, Abu Ghureib? Ulsan!
Ein Widerwort aufs deutsche Folterfeuilleton
Von Thomas Gsella
(Seite 2 von 2)

"Die Folterer und ihre beklagenswerten Opfer stellen Szenen aus der Bildergeschichte der menschlichen Infamie nach. Ob sie jemals Goya gesehen haben oder Pasolini, oder ob sie die Fotos aus Magazinen der SM-Szene kennen, tut nichts zur Sache. Die Bilder erkennen einander wie Hunde am Geruch." Bon. Und versuchsweise den blitzblanken Nonsens als wahr unterstellt, Bilder erkennten irgendwas, am liebsten und schärfsten einander: Goya scheidet apriori aus. Pasolini? Fernseh guckt der Ami laut neuesten Grabungen 23,45 Stunden täglich, da mag wohl auch ein Pasolini hundertstelbewußt ins vakuöse Hirn geplumpst und gleich wieder im volkstypischen stream of consciousness, im Meer der überseeischen Rattenblödheit auf den Grund geeiert sein. Fast jede zweite High-School-Leuchte, wie grad heut zu lesen, vertritt die Überzeugung, weiland Hitler habe im Weltkrieg number five oder wo mit ihnen, den Amis, vollrohr gegen die Russen gewullacht, gefightet...
Pasolini also? Schön wär's. Nein, alles ist schlimmer. Rugby? Raulff: "Eins haben die Pornoproduzenten von Bagdad begriffen: Nicht die Körper sind geil, sondern die Bilder der Körper. Die Bilder der geschlagenen und erniedrigten, zu seltsamen Menschenbergen geschichteten und symbolisch verstümmelten und kopflos gemachten Körper. Der ultimative Kick liegt nicht in der Ausübung von Taten, die den anderen Menschen zum Tier, zum Paket, zum namenlosen Stück Materie machen, sondern im Bewußtsein, sich vor dem Auge der Kamera gemeinsam mit diesem Tier, diesem Stück Materie in ein Bild zu verwandeln." Was Journalisten halt reden, die erst die Illu zum Meinen ermuntert - aber nein, alles ist schlimmer. Viel schlimmer.

 
Seltsamer Menschenberg aus Stücken Materie und kopflosen Körpern

Wir schreiben den 21.6.2002. Punkt 13.30 Uhr pfeift der schottische Referee Hugh Dallas (!) im japanischen Ulsan die Viertelfinalbegegnung Deutschland - USA an. 30 000 Zuschauer erleben haushoch überlegene Yankees. McBride in der elften Minute, Lewis (13.) und Sanneh (15.) versieben hochkarätige Chancen, dann pariert Kahn einen Unhaltbaren von Donovan (17.), der kurze Zeit später an eigener Dummheit scheitert (30.) Zwei Minuten nach einer hundertprozentigen Lewis-Chance (37.) stellt Ballack mit einem Kopfballtor den bisherigen Spielverlauf auf den Kopf (39.).
So geht es weiter und bleibt es. Chancen der Deutschen in der zweiten Halbzeit: eine halbe von Klose (64.), die andere Hälfte steuert Neuville bei (75.). Mutterseelenallein vor Kahn tauchen andererseits auf Lewis (47.) und Donovan (49.), der in selber Minute zwar Kahn überwindet, doch Frings hält per Hand auf der Linie, was Dallas zum "Glück" übersieht (49.) Zwei Sanneh-Kopfbälle (84. und 90.) fliegen dank eben exorbitanter Doofheit und infantilnervöser Abschlußschwäche der einst coolen Hitlerbezwinger an Olli vorbei nebens Tor, dann ist Schluß. Freudig bauen Ballack & Co, vor den Augen der gedemütigten Weltmacht, einen Berg. Es ist ein seltsamer, ein jubelnder Menschenberg, den sie da bauen, siegreich und jubelnd allein dank der Esel, die sich selber geschlagen haben. Am 20.3.03, kaum 911 (!) Tage später, fallen amerikanische Bomben statt auf Deutschland, das sich strafverschärfend weigert mitzutun, auf den Irak. Menschenrechte? ABC-Waffen? Öl? Ein George junior, der kraft Gewinn des Vaterkriegs endlich seine Mam durchbürschteln dürfte?
Nichts dergleichen. Sondern die termini technici heißen "Verschiebung" und "zwanghafte Wiederholung". Mit ersterem benannten Freud und im Gefolge Jung und Rudi Völler die Entladung feindseliger Gefühle auf Kosten von Objekten, die noch weniger (tor)gefährlich sind als diejenigen, welche die Gefühle ursprünglich erregten - der Irak war für die WM ja nicht mal qualifiziert; mit zweiterem die zwanghafte Wiederholung traumatisierender Erlebnisse bzw. eben Ergebnisse (0:1!). Genug der Belege, der Worte? Ja.
Nein. Raulff: "Wir wissen jetzt, daß es eine Osmose der Bilder gibt. Auf verborgenen Wegen, in geheimen Kanälen kommunizieren die Bilder miteinander, teilen sich ihre Temperatur mit, tauschen ihre Botenstoffe aus, infizieren einander. Je höher ihre Temperatur ist, je stärker ihre Ladung aus psychotropen Giften, um so schneller passiert die Ansteckung." Um so schneller, wie wahr. Doch was liegt denn näher: die 120 Tage von Sodom? Oder die neunzig Minuten von Ulsan? Entscheiden Sie selbst!


    1 | 2


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg