Inhalt der Printausgabe
Juni 2004
Pasolini, Abu Ghureib? Ulsan! Ein Widerwort aufs deutsche Folterfeuilleton Von Thomas Gsella (Seite 1 von 2) |
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Nach Art von Besatzungsmächten, die auf organisierten oder jedenfalls breiten Widerstand und also schweigsame Gefangene stoßen, foltern amerikanische und britische Soldaten im Irak, daß es nur so kracht; das gehört zum imperialistischen Krieg, ist Usus und schlichtweg erwartbar. "Ich lebe in einem schrecklichen Land", gestand vor Jahren reichlich spät Norman Mailer und zählte wer weiß wieviele zuvörderst lateinamerikanische Länder auf, in welchen die USA sei's ihre komplette Armee morden und aufräumen, sei's ihre Militärberater und embedded restpulskontrollierenden Ärzte die neuesten Elektroschockgeräte und verwandte Weichkocher testen ließen bis zum Anschlag. El Salvador, Guatemala, Venezuela, Chile et al.: Hier schabten die Verhörenden mit Messern an den bloßgeschnittenen Knochen ihrer Opfer, ließen sie, mit hinter dem Rücken an die Arme gefesselten Beinen, zehn Meter in die Höhe ziehen und dann auf Betonboden hinunterstürzen. Das alles ist bekannt seit spätestens den siebziger Jahren durch Aussagen entkommener Zeugen, in Buchform hinterlegt und also nachzulesen. Kaum aber untersagt eine texanische Clique, die sich wählen ließ just zum Behufe, den Irak samt Umfeld zu kolonisieren, ihren dortigen Folterern nicht ausdrücklich den zeitgemäßen Fun der Digicam, dreht unser Feuilleton vielleicht nicht eben durch. Doch gewiß über Gebühr auf. "Die 120 Tage von Bagdad" überschreibt beispielhaft Ulrich Raulff in der SZ vom 4.5. und unterfüttert: "Die Henkersmasken, die Posen hündischer, stiefelleckender Unterwerfung, die erniedrigenden Sexualpraktiken, das alles kennt man aus der Literatur und Ikonographie des Sado-Masochismus. In dieser Bildwelt spuken die wirklichen und die imaginären Erinnerungen an die Blaubärte und grausamen Frauen, die Bluträusche und Folterkeller aus der Nacht der Zeiten. Aber sie sind darin zum Spiel geworden, zu einem (oft grausamen) Mummenschanz, einem mock war der Geschlechtsteile. Jetzt kehren sie zurück an den nie vergessenen Ort ihrer Geburt. In Bagdad ereignet sich der Einbruch des Spiels in die Wirklichkeit." In Wirklichkeit ereignet sich das Spiel in Bagdad als Einbruch? Treffender wär's gewesen - aber wie langweilig beides! Seit je ist die vollständige Unterwerfung von Menschen eine auch sexuelle, ergo sadistische; und Bagdad nicht die erste, sondern, siehe Kalender, aktuell letzte Barbarei. Aber eine medien- und fototheoretisch randvoll besondere? Ach geh. Die Opfer der Neandertaler-versus-homo-sapiens-sapiens-Kriege und -Verhöre über die punischen und 30jährigen bis hin zu den hitlerischen und kambodschanischen und angolanischen sind größtenteils tot. Doch wurden selbstredend auch sie, wenn's die Laune der Sieger verlangte, erniedrigt, vergewaltigt, auf die, siehe Theweleit, Folterböcke der SS geschnallt, wurden Hoden und Pos gepeitscht und zerschlagen lange vor Bagdad 2004, nämlich nahe Düsseldorf bzw. Athen bzw. München und Berlin und Phnom Penh anno 1,43 Millionen v. Chr. ff. Wieso also dieser Feuilletonquatsch? | ||
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"Wenn man den Behauptungen des Mirror von gestern Glauben schenken darf, gibt es mittlerweile einen blühenden Markt für Fotos dieser Art. Einem Angehörigen der Streitkräfte zufolge gebe es Hunderte solcher Fotos, die ›routinemäßig ausgetauscht‹ würden. Eine Anzahl von Soldaten im Süden des Landes sei ›völlig außer Kontrolle‹ geraten. Man findet hier eine weitere Antwort auf die Frage, wie sich die Präsenz von Kameras in den Zellen von Abu Gharib (inzwischen: Ghureib und bald dann halt Gheiröpl; d.V.) erklären läßt: Offenbar ist unter den ›außer Kontrolle Geratenen‹ eine Zirkulationssphäre eigener Art entstanden." Eine noch weitere Antwort auf die Frage nach der Kamerapräsenz in den Zellen von Abu Ghureib könnte lauten: Jedes außer Kontrolle geratene Arschgesicht hat heute eine Canon Ixus; und zieht notgedrungen grade auch der strahlendste Sack die seine zumal dann, wenn's in seinem sogenannten Dasein erstmals und urplötzlich was Knalligeres und Knallenderes zu knipsen gibt als eine staubdoofe Tupperware-Ische im Kreis gleich hirntoter Bälger und allzeit finalschußbereiter Nachbarn, allesamt verseucht und durchsifft von den drei großen Beutelpesten seiner prächtigen Heimat: ihrem aberdementen Patriotismus, ihrem nach Pech und verfaulten Federn stinkenden Quäkerquackquock und einer mondgrauen Trostlosigkeit ihrer Mittel-, Klein- und Vorstadthäuser und -warenhäuser, gegen beide die neurussischen Mülldeponieslums Horte sind tiefster Menschlichkeit, höchster Kultur, ja rumpelndsten Vergnügens, Party pur gleichsam; und der vorgeblich "blühende Markt"? Na Gott, sie möchten halt gucken, was die andern so haben und erlegt haben, das ist wie bei den Tauschbildchen der Kinder oder der Safariidioten auf ihren je frischesten Nashörnern. |
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