Inhalt der Printausgabe

Dezember 2004


Wie TITANIC einmal an der Zonengrenze die Mauer wieder aufbaute
DAS GROSSE MAUERN
(Seite 3 von 4)

21.15 Uhr
Hotel "Rhönblick"

Die Gaststube des Hotels ist der Ort, welchen die Geschichte auserwählt hat, Zeuge des historischen Schulterschlusses zwischen der PARTEI und der IG Bau zu werden. Als sich die Eingangstür öffnet und sich beide Seiten erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, ist die Überraschung groß: Die Gewerkschaftsführer Henry Köster (Thüringen) und Bernd Honsberg (Hessen) sehen genauso aus, wie die PARTEI sich Gewerkschafter vorstellt, bodenständig, leger gekleidet, teilweise lustig behaart und mit schmucken Windjacken versehen. Und auch die Gewerkschaft ist beeindruckt: "He, ihr habt ja alle die gleichen Anzüge an! Ein toller Anblick!" Bei Pizza und Bier wird der Mauerbau minutiös durchgeplant. Ein anschließender Versuch von Wahlkampfleiter Behrend, auch noch ein paar Einheimische an der Theke von der Mauer-Idee zu überzeugen, scheitert. Fast alle sind dagegen, weil sie Verwandte im Osten haben, lediglich "für die Tierwelt wäre das gut". Auch Generalsekretär Hintner hat noch eine längere Diskussion zu bestehen, weil zwei Betrunkene nicht glauben können, was sie sehen: "Ihr habt alle die gleichen Anzüge an - was zum Teufel bedeutet das?"

 
Mauerbau und Mauerschau - Alltag im Zonenrandgebiet
9. November
9.00 Uhr
Landesgrenze Thüringen / Hessen

Nach dem Frühstück setzt sich eine kleine Kolonne aus Politikern, Gewerkschaftern und inzwischen eingetroffenen Journalisten in Bewegung, und schon nach zwei Kilometern gelangen sie an die ehemalige Zonengrenze. Ein Dutzend rotbejackte IG Bau-Leute haben sich trotz Kälte und Nieselregens versammelt, entrollen Transparente und Fahnen, Bauarbeiter mit gelben Helmen stehen routiniert um einen Kleinlaster mit Baumaterial herum. Auf dem Fundament eines ehemaligen Wachturmes sind bereits zwei Reihen Ytong-Steine fein säuberlich aneinandergereiht. PARTEI-Chef Sonneborn begrüßt die Bündnisgenossen: "Guten Tag, Männer! Sie sind Zeuge eines historischen Augenblicks, ich freue mich, daß wir heute hier diese Aktion zusammen durchführen dürfen." Freuen tun sich auch ein paar hessische Polizisten; da die Aktion zwanzig Meter jenseits der Landesgrenze zu Thüringen stattfindet, observieren die Beamten das Geschehen aus sicherer Entfernung aus ihrem warmen Auto heraus. In den nächsten dreißig Minuten treffen fünf oder sechs Kamerateams ein, ein Pulk von Reportern und Fotografen, so daß die erste plakative Aktion starten kann: Bernd Honsberg und Martin Sonneborn setzen IG Bau-Helme auf und dann den ersten Spatenstich. Es wird viel fotografiert, auch wenn der Stich lediglich mit einem stumpfen Mörtelspaten simuliert wird und außerdem für den anschließenden Mauerbau und die Teilung Deutschlands ohne jegliche Bedeutung bleibt.

9.38 Uhr
Philippsthal / Vacha

Es ist ein historischer Moment: Mit klopfendem Herzen nimmt der Bundesvorsitzende der PARTEI einen vier Euro teuren Ytong-Stein, trägt ihn an das Mauerfragment, paßt den Stein ein und klopft dann für die Fotografen dreimal ebenso eindrucksvoll wie sinnlos mit einem Gummihammer darauf herum. Nach einer kurzen Ansprache im Blitzlichtgewitter - "Es ist ein historischer Moment! Meine Herren, vollenden Sie Ihr Werk, bauen Sie die Mauer wieder auf!" - machen sich die Profis ans Werk.

 
Sinnloser Spatenstich
9.55 Uhr
Zonengrenze

Knapp zwei Meter hoch ist die Grenzanlage und damit genauso groß wie der thüringische Polizeibeamte, der jetzt die Szenerie betritt, sofort von Medienvertretern umringt wird und auf Sonneborn zugeht: "Was machen Sie da?" - "Schön daß Sie da sind, Herr Wachtmeister, ich bin der Bundesvorsitzende der PARTEI. Bei einem Treffen mit den Ministerpräsidenten Koch und Althaus gestern in Vacha habe ich Ihren obersten Dienstherrn bereits informiert. Sind die Kommunikationswege so schlecht bei Ihnen?" - "Davon weiß ich nichts. Ich habe von Ihrer Aktion gehört, und mich interessiert nur, ob hier eine Verkehrsstörung vorliegt. Ich sehe aber keine!" An dieser Stelle wird das Zwiegespräch zwischen angehender Legislative und derzeitiger Exekutive unwirsch durch die Frage eines Reporters unterbrochen: "Was halten Sie als Polizeibeamter vom Maueraufbau?" - "Persönlich? Nichts, wir haben die doch erst abgerissen! Ich kenne jetzt das Programm der PARTEI gar nicht genau." Das PARTEI-Programm unbekannt? Zeit für den Spitzenpolitiker, wieder ins Geschehen einzugreifen: "Persönlich ist mir das auch relativ egal, wir schaffen hier nur populistische Bilder, die in den ruinierten westdeutschen Randgebieten wirkungsvoll eingesetzt werden sollen. Aber ich glaube nicht, daß wir den Verkehrsfluß in Deutschland in diesem Stadium schon behindern. Nachher natürlich schon." - "Und wer räumt das hier wieder weg?" Der Beamte zeigt auf den angehenden Schutzwall. "Wir, selbstverständlich. Sobald uns der Wähler den Auftrag dazu gibt!" - "Gut, machen Sie weiter!" "Sehr wohl. Hier, das ist für Ihre Kinder." Der Bundesvorsitzende zieht eine Mauer-Postkarte, bittet den Beamten, sich umzudrehen und signiert auf seinem Rücken die Karte.

10.13 Uhr
Mauerstreifen

Bürgermeister Klotzbach aus Philippsthal drängt durch die Pressevertreter, ein gedrückter kleiner Mann mit viel Trenchcoat, wenig Haaren und regennasser Brille. Unwirsch verlangt er Aufklärung von Sonneborn: "Ich weiß ja offiziell gar nichts. Ich hab mir das aus dem Internet gezogen, weil ich das auf FFH gehört habe vorhin, die haben das ja ausführlich gesendet!" - "Ich bin der Bundesvorsitzende der PARTEI. Bei einem gestrigen Treffen mit Ihrem Ministerpräsidenten Koch hat dieser zum Ausdruck gebracht, daß er es bedauert, daß soviel Mauer weggerissen worden ist. Wir haben also Rückendeckung von ganz oben!" - "Ich war dabei, ich habe das nicht so verstanden. Ich finde, was Sie hier machen, ist Schwachsinn! Wenn eine Partei sich so profilieren will, die 2006 in den Bundestag will, dann tut sie mir leid!" - "Nun, das hier ist natürlich billiger Populismus, aber das machen andere Parteien genauso. Und wenn 21 Prozent der Bundesbürger dafür sind, diese Mauer wieder aufzubauen, dann sehe ich, daß wir demokratisch legitimiert sind." - "Umfragen, da lege ich keinen richtigen Wert drauf!" - "Darf ich fragen, in welcher Partei Sie sind?" - "Ich bin in keiner Partei." - "Hätten Sie Lust, für uns Verantwortung zu übernehmen?" "Mit Sicherheit nicht!" - "Ein sicherer Sitz auf der Bundestagsliste? Landtag?" - Geschmeichelt, fast verlegen lächelt da urplötzlich Bürgermeister Klotzbach: "Ach nein, vom Alter her nicht." Und als Wahlkampfleiter Behrend ihn darauf hinweist, daß die PARTEI seinem Bundesland mit dem Mauerbau ja noch 20 Meter Thüringen zugeschlagen habe, ist der Mann fast versöhnt.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg