Inhalt der Printausgabe
Dezember 2004
Wie TITANIC einmal an der Zonengrenze die Mauer wieder aufbaute DAS GROSSE MAUERN (Seite 2 von 4) |
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8. November 11 Uhr Berlin, Reichstagsgelände Vor dem Reichstag kündigt der Bundesvorsitzende der PARTEI Martin Sonneborn in einem Interview für die Nachrichtensendung des polnischen Fernsehens den Mauerbau an. Inoffiziell bestätigt die Berlin-Korrespondentin, daß viele Polen diese feine Idee durchaus mit Sympathie betrachten. Zur gleichen Zeit erwirbt der neuverpflichtete Wahlkampfleiter Georg Behrend bei C&A gerade einen traditionellen PARTEI-Anzug (49 Euro, reines Vollpolyester). Nach dem Pressetermin machen sich beide auf in Richtung Philippsthal. | ||
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14.38 Uhr A9 Ein Reporter des Hessischen Dudelsenders FFH bittet Sonneborn telefonisch um ein Interview am späten Nachmittag. Er sei bereits in Vacha, weil die Ministerpräsidenten Althaus und Koch sich dort ab 15.30 Uhr bei einer Feier zum 9. November den Fragen ausgewählter Gymnasiasten stellen wollen. Die PARTEI-Freunde haben auch Fragen. Sie erkundigen sich nach Veranstaltungsort und -ablaufplan, ändern spontan ihre Route und fahren nach Vacha. Am Eisenacher Bahnhof steigt Generalsekretär Tom Hintner zu. 15.48 Uhr Vacha, Hotel Adler Als die PARTEI den Saal des Hotels erreicht, ist die Feier in vollem Gange. Ein eifrig moderierender FAZ-Korrespondent stellt ein paar unrasierte Bürgerrechtler (Nooke, Lengsfeld etc.) vor und begrüßt die Ministerpräsidenten von Hessen und Thüringen. Behrend und Sonneborn suchen sich zwei freie Plätze direkt hinter einer größeren Abordnung Schüler, und im Anschluß an schier endloses Erinnern & Gedenken wird endlich die Fragestunde eingeläutet. Nachdem drei Schüler ihre auswendig gelernten Namen und Fragen aufgesagt und die erwartbare Salbaderei dankbar hingenommen haben, duckt sich der Bundesvorsitzende der PARTEI hinter einem pubertär aufgeschossenen Abiturienten, zeigt artig auf und bekommt vom offensichtlich kurzsichtigen Moderator das Mikrophon zugewiesen. "Ich habe eine Frage an die Herren Ministerpräsidenten Althaus und Koch. Die Zeit der Einheitsfeierei ist ja nun langsam vorbei, und es gibt starke Bestrebungen, die Mauer wieder aufzubauen. Wir werden morgen an der Zonengrenze damit beginnen. Glauben Sie, daß die PARTEI mit diesem populistischen Programm in den Bundestag einziehen kann? Oder was wollen Sie dagegen tun?" Während Koch irritiert nach hinten schaut, zischt der FAZ-Moderator warnend: "Vorsicht, TITANIC!" Die Antwort von Althaus ist ebenso verwirrend wie nichtssagend, auch Koch schwadroniert, läßt sich aber abschließend zu der Klage hinreißen, es sei "schon viel zuviel Mauer abgerissen worden". Auch wenn diese Aussage sich eigentlich auf die Berliner Mauer als Touristenattraktion bezieht: Bis zur Forderung, die Mauer wieder aufzubauen, ist es inhaltlich nicht weit! Zufrieden verlassen Behrend, Hintner und Sonneborn die Veranstaltung; im Vorübergehen bekommt der FFH-Reporter noch sein Interview. | ||
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17.30 Uhr Philippsthal Die PARTEI-Spitze bezieht Quartier. Die Gewerkschaft hat für alle im Hotel "Rhönblick" gebucht, eine Reminiszenz ans Polen der 50er Jahre. Um den ausgekühlten Verschlägen zu entfliehen, ziehen die Politiker zwei Stunden lang in den Wahlkampf und besuchen unbescholtene Bürger in ihren gut geheizten Wohnzimmern (vgl. Seite 16). |
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